Kriminelle KI
Ist die Linearität noch zu verschmerzen, hinterlässt die KI jedoch deutliche Frustmomente. Auf den ersten Blick machen die Figuren noch einen intelligenten Eindruck: Passanten springen zur Seite, beim Schusswechsel schreien Unschuldige um Hilfe, rennen wild durcheinander oder kauern sich jammernd in eine Ecke.
Aber es gibt auch Schattenseiten: Wenn Ihr in Begleitung eines Mafiosi eine schmale Treppe hinaufgeht und wieder umdrehen wollt, will der Gute einfach nicht aus dem Weg gehen; hier hilft nur ein Neustart oder die harte Methode, die ebenfalls eine KI-Schwäche entlarvt: Euer ansonsten nicht zimperliche Kumpan lässt sich ohne Protest oder Gegenwehr mit dem Baseballschläger die Treppe runterprügeln. Erst ein paar Missionen später springt die KI an und er droht bei erneuten Übergriffen mit Gegenwehr.
Und nicht nur die eigenen Mafiosi hinterlassen manchmal einen dämlichen Eindruck: Wenn Ihr Euch während eines Schusswechsels zurückzieht, justieren sich Gegner plötzlich neu und zielen in eine ganz andere Richtung, obwohl sie ganz genau wissen müssten, wo Ihr steckt. Auch von Taktik und Teamplay scheinen sie ab und an nichts gehört zu haben: Trotz Sichtkontakt und Überzahl verharren Polizisten an einem Punkt und lassen sich bequem niederschießen. Schließlich sei noch der Wachhund am Motel erwähnt – ein einziger vierbeiniger Witz: Scheinbar ohne die Sinne seiner Spezies ausgestattet, lässt er Euch viel zu nahe rankommen und in die ewigen Kläffgründe befördern.
Mafia verspielt hier all sein Hitpotenzial, denn die Illusion einer in sich stimmigen Spielwelt wird durch die KI-Probleme zerstört. Sicher gibt es auch positive Beispiele, wo Gegner relativ klug agieren, Verstärkung fordern und zusammen angreifen. Trotzdem könnte man noch weitere Negativbeispiele wie z.B. unlogische Staus auflisten. Insgesamt hätte das Spiel gerade im Figuren-Verhalten noch einiges an Feintuning und Entwicklerarbeit nötig gehabt, um langfristig zu begeistern. Ältere Spiele wie Dark Project oder Metal Gear Solid sind da wesentlich überzeugender.
__NEWCOL__Prächtige Karossen, prächtige Kulisse
Ein absolutes Grafik-Highlight wurde mit den Gesichtern bereits erwähnt, aber die unangefochtene Hauptrolle spielen die über 60 fahrbaren Untersätze. Oldtimer-Liebhaber werden vor Freude jauchzen. Mafia belebt die Zeit der noblen Karossen auf höchstem Fahr- und Grafikniveau. Egal ob kleiner, wendiger PS-Zwerg oder kraftstrotzende Limousine: die Automobile glänzen mit feinen Texturen und tollen Spiegelungen. Aber vor allem das verblüffend realistische Fahrverhalten sorgt im Zusammenspiel mit dem Motorenbrummen für echtes Oldtimer-Feeling. Und damit Ihr Euch richtig austoben könnt, haben die Entwickler eine riesige Stadtkulisse im Stil der amerikanischen 30er gezaubert – inklusive herrlich animierter Bewohner, die stilecht durch die Straßen spazieren. „Lost Haven“ bietet vom Rotlichtbezirk über verruchte Hafengegenden bis hin zum exquisiten Nobelviertel alles, was das Metropolenherz begehrt. Riesige Brücken verbinden drei große Areale; hinzu kommen ein Flughafen und kleine Motels bzw. Farmen auf dem Land.
Sterile Stadt
Dennoch zeigt auch die Grafik Schwächen: Der Größe der Stadt mussten die Entwickler Tribut zollen. So zeigen sich trotz ansehnlicher Fassaden, schöner Lichtspiele und stimmungsvoller Hinterhöfe ab und an hässliche Texturtapeten und platte Übergänge. Auch Clipping-Fehler wie Gegner-Beine in Türen oder in der Luft stolzierende Figuren trüben die ansonsten bestechende Optik. Und der Stadtverkehr kann zwar mit Passanten, die im Ernstfall herrlich animiert zur Seite springen, sowie dem simuliertem Verkehr überzeugen, hätte aber etwas mehr Interaktivität vertragen können: Kein Restaurant, keine Bar und kein Geschäft lässt sich betreten und nichts kaufen. Lediglich einige gescriptete Ereignisse wie Unfälle sorgen für Abwechslung. Sobald man sein Auto verlässt wirkt die Stadt daher schnell steril. GTA 3 war da wesentlich lebendiger, weil die Bewohner mehr soziales Feedback gaben – auch wenn es sich meist um Schlägereien, Pöbeleien und zweideutige Angebote handelte.