Faschist oder Fanatiker?
Das Gegenmittel: Den Menschen einen Lebenssinn geben, der sich bei Frostpunk auf die zwei exklusiven Gesetzesbereiche Ordnung und Religion aufteilt. Und an diesem Punkt wird eine weitere Facette dieser Survival-Aufbausimulation deutlich, die mit ihrem moralischen Unterton stark an das von uns als „Spiel des Jahres“ ausgezeichnete This War Of Mine (ebenfalls von den 11-Bit-Studios) erinnert.
„Heute haben sie James hingerichtet. Einfach so. Sie haben ihn aus seiner Wohnung gezerrt, ihn mit ihren verdammten Flegeln verdroschen und dann blutend vor den Generator geschleift. Einer von diesen beschissenen Kapuzenträgern hat ihm dann noch sein Verbrechen vorgetragen. Er hätte gegen das Wort unseres Captains und laut dem neuen Gesetz des Glaubens damit direkt gegen das Wort Gottes verstoßen. Einen Scheiß hat er. Das sind doch nur dreckige Lügen, um diese verdammten Fanatiker auf der Straße ruhigzustellen. Sie haben ihn bei lebendigem Leibe gekocht. Vor aller Augen. Verdammter Mist. Vielleicht ist dieser Winter Gottesstrafe genug, wenn wir zu solchen Gräueln fähig sind.“
Denn was harmlos mit einer kleinen Kirche oder einer selbstorganisierten Nachbarschaftswache anfängt, eskaliert schnell in
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einen fanatischen Kult mit öffentlichen Auspeitschungen oder einen faschistoiden Polizeistaat, dessen Überwachungsscheinwerfer die Nacht erhellen. Im Laufe der Kampagne gerät man als Anführer immer wieder an Bruchstellen der Hoffnung – und muss teils drastische Entscheidungen treffen. So gibt es die Möglichkeit, die eigene Macht immer weiter auszudehnen und z.B. als finalen Schritt einen „neuen Glauben“ auszurufen, der die wankelmütige Hoffnung der Menschen durch fanatischen Glauben ersetzt. Eine gute Entscheidung für die Stadt, denn unwesentliche persönliche Befindlichkeiten wie Hunger oder Kälte rücken in den Hintergrund. Das Problem: Bei der Machtergreifung müssen unwiederbringliche Opfer gebracht werden, denn ein Teil der Bewohner wird rebellieren – und sterben.
Flüchtlingskrise in der Eiswüste
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Auch der Umgang mit Flüchtlingen und Fremden wird immer wieder thematisiert. Wie gehe ich mit verzweifelten Menschen um, die vor den Toren meiner Stadt auftauchen? Nehme ich nur die Arbeitsfähigen auf und lasse die Kranken und Kinder in der Eiswüste sterben? Eine Entscheidung, die meine Stadt vielleicht retten könnte, da keine Ressourcen an die Schwachen verschwendet werden. Dafür würde der Tod Hunderter mein Gewissen belasten – und vielleicht später auf mich zurückfallen. Die Entwickler schaffen es auf diese Weise trotz der visuellen Distanz ein gewisses Gefühl für die Verzweiflung der Menschen zu vermitteln, wenngleich die Unmittelbarkeit des Leids wie in This War Of Mine fehlt. Stattdessen bleiben die meisten Bewohner kleine, wuselnde Punkte in den Straßen meiner Stadt, die vom Feuerschein des Generators und der vielen kleinen Dampf-Knotenpunkte erhellt wird. Somit fällt man einige harte Entscheidungen schneller, da man keine so intensive Bindung zu einzelnen Figuren aufbaut.
Denn eines ist klar: Hier geht es eher um die Gemeinschaft und das Überleben der Gruppe – der Einzelne wird zu einem gesichtslosen Rädchen der Notgemeinschaft, das hauptsächlich funktionieren muss. Dementsprechend wichtig ist es, zentrale Gebäude wie die Krankenstationen und die Nahrungserzeugung mit Weiterentwicklungen der Isolierung und Verbesserung des Generators vor den frostigen Winden zu schützen, um den Fortbestand der Stadt zu garantieren. Zudem können gigantische Dampf-Roboter von den Scouts in der Eiswüste entdeckt und zur Arbeit eingesetzt werden, was vor allem die Versorgung mit der neuralgischen Ressource Kohle sicherstellen kann. Natürlich läuft hier alles gegen die Uhr der immer brutaler werdenden Kälte, sodass man sich entscheiden muss, welche Technologien man braucht – und auf welche Annehmlichkeiten man zugunsten der gesamten Stadt verzichten muss.