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Enslaved: Odyssey to the West (Action-Adventure) – Enslaved: Odyssey to the West

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – sagt man. Und tatsächlich weiß jeder gute Autor, wie wichtig das Lesen zwischen den Zeilen sein kann. Jeder gute Regisseur kennt die unhörbaren Zwischentöne, die seine Figuren erst zum Leben erwecken. Enslaved ist das Spiel zwischen den Zeilen. Es erzählt von den Zwischentönen. Der Moment des Erlebens ist ihm wichtiger als die Auflösung der Geschichte – sagt Creative Director Tameem Antoniades.

© Ninja Theory / Namco Bandai

Der Hüne und das Mädchen

Natürlich ist Enslaved vor allem ein großes Abenteuer – eine sehr freie Auslegung des chinesischen Romans „Die Reise nach Westen“. Wenn die zwei ungleichen Protagonisten über einem New York abstürzen, dessen Ruinen von einem saftigen Dschungel überwuchert werden, dann ist das der kraftvolle Beginn einer ungewöhnlichen Abmachung: »Wenn ich sterbe, stirbst du ebenfalls«, sagt das Mädchen mit den roten Haaren. Eine romantische Feststellung? Eher eine wortgenaue Drohung. Sie kennt den Hünen ja nicht einmal, den sie sich mit einem Sklavenstirnband gefügig macht. Er hat einfach nur das Pech, mit ihr zusammen von dem Sklavenschiff geflohen zu sein und den Absturz überlebt zu haben. Und er ist der Einzige, der sie durch das von martialischen Robotern besetzte Land nach Hause bringen kann.

Das Spiel klärt mit der Zeit alle wichtigen Fragezeichen der Geschichte: Was ist »Pyramide« und wieso rottet es ganze Siedlungen aus, um Sklaven zu besorgen? Allerdings verzichtet es auf ein erklärendes Zerreden der Handlungselemente ebenso wie auf theatralische Szenen. Stattdessen beginnt das Abenteuer so unvermittelt wie eine Kurzgeschichte:

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Video. Die Entwickler eifern ihrem Helden nach…

Der Hüne sieht, wie das Mädchen an ihm vorbei läuft, er boxt sich aus seiner Gefängniszelle und schon übernimmt man die Kontrolle. Dass der Überlebenskünstler Monkey genannt wird und seine Befehlsdame Tripitaka heißt, erfährt man erst später – wenn die beiden in einer ruhigen Minute nebeneinander her laufen.

Danke!

Solche Szenen sind die große Stärke des Spiels: Anstatt in opulenten Filmschnipseln ein Epos zu erzählen, dreht sich alles um die Beziehung des unfreiwilligen Paares und die kommt besonders dort zum Ausdruck, wo sich Trip und Monkey ganz normal unterhalten. So gewöhnlich das klingt, aber in der Art und Weise, mit der sie fast nebenbei »Hier, bitte« und »Danke« sagen, steckt mehr Wahrheit als in jedem »Ich liebe dich!«. Apropos: So vorsichtig wie die erotische Anziehung zwischen Trip und Monkey andeutet wird, muss man genau hinsehen, um die Zeichen zu erkennen. Entwickelt sich tatsächlich so etwas wie Liebe zwischen den beiden? Das ist es, was eine besondere von einer guten Dramaturgie unterscheidet!

Ja, es gibt auch herkömmliche Filmszenen, in denen mit Pigsy etwa ein dritter Charakter vorgestellt oder ein Ortswechsel beschrieben wird. Und auch in diesen stellen die Entwickler ihre Figuren mit unheimlich viel Feingespür ins gedämmte Rampenlicht: Vor allem Kleinigkeiten wie Seufzer, Schmatzer oder ein fast unsichtbares Stirnrunzeln machen deutlich, wie nah virtuelle Darsteller der Wirklichkeit kommen können. Wenn Monkey z.B. längst ahnt, warum niemand die Sicherheitsanlagen in Trips Heimatdorf bedient, steht ihm das ins Gesicht geschrieben – ohne dass er es sich anmerken lässt. Ganz anders sein herrlich betont aufmerksames »Und? Wie lief’s?«, nachdem er einen ganz offensichtlich fehlgeschlagenen Annäherungsversuch von Pigsy an Trip beobachtet hat.