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Cold Iron (Arcade-Action) – Der „High-Noon-Simulator“

Resident Evil 7 hat gezeigt, dass ein klassisches Konzept durch die Verlagerung in die virtuelle Realität an Intensität gewinnen kann. Doch es gibt auch Ideen, die nur in der Abgeschiedenheit hinter dem Headset funktionieren können. Wie z.B. der ungewöhnliche High-Noon-Simulator Cold Iron von Catch & Release, den wir zufällig in den VR-Stores entdeckt und einem Test unterzogen haben.

© Catch & Release / Catch & Release

Für eine Hand voll Dollar

Erzählerisch erinnert der Anfang von Cold Iron leicht an Red Dead Revolver: Man wird Zeuge, wie der eigene Vater von einer Horde Gangster niedergeschossen wird und das heimatliche Haus in Flammen aufgeht. Und natürlich schwört man Rache. Ab hier entfernt man sich aber inhaltlich von dem auf PS2 und Xbox erschienenen Rockstar-Klassiker. Denn wo Reds Daddy ein harmloser Zivilist war, ist der Vater hier ein gestandener Revolver-Held, der seine Pistole „Cold Iron“ an den sprichwörtlichen Nagel gehängt hatte, um sich um seine Familie kümmern zu können. Und genau diese Knarre schnappt sich der Spieler und fordert das Trio nacheinander zum Duell. Die Regeln dafür sind einfach: Zwei Männer stehen sich gegenüber, die Waffe im Holster. Sobald die Glocke ertönt, darf gezogen und geschossen werden. Einer siegt, der andere stirbt. Zieht man, bevor die Glocke läutet, hat man verloren. Im Gegensatz zu klassischen Duellen wird hier allerdings quasi auf fünf Siegpunkte geschossen. So kann man sich auch mal einen „Frühstart“ gönnen, ohne gleich komplett ins Gras beißen zu können.

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Cold Iron beginnt mit klassischen Duellen à la High Noon in einer Wildwest-Stadt. © 4P/Screenshot

Diese Mechanik wäre für sich genommen zwar interessant, aber letztlich bieder und kaum spannend. Doch was Catch & Release daraus machen, ist gleichermaßen gewagt und spannend, ebenso merkwürdig wie ungewöhnlich und manchmal einfach nur bizarr. Unter dem Headset und tunlichst mit Kopfhörer ausgestattet, ist man von der Umwelt abgeschottet und konzentriert sich nur auf die Glocke – immerhin kann hier eine Hundertstelsekunde über Leben und Tod entscheiden. Betont wird dies durch ein Abdämpfen von Musik und anderen Sounds und dem Verstärken des Herzschlags der Spielfigur. Bu-bumm. Bu-bumm. Bu-Bumm. Bu-Ding. GLOCKE! Peng. Laufen die Auseinandersetzungen mit den ersten Gegnern noch „gewöhnlich“ ab, sorgt der erste Boss bereits für „Störmomente“. Er pfeift und bringt einen damit durcheinander. Bei mir führte das mehr als einmal zu einem vorzeitigen Ziehen und damit einen Punkt für ihn, während der Erzähler dies wie alles andere sarkastisch kommentiert. Überhaupt habe ich festgestellt, dass die Konzentration auf dieses eine Geräusch die Spannung mitunter so hoch treibt, dass auch andere bewusst im Spiel eingesetzte Elemente zu einem Fehler führen können. Ein Vogel fliegt vorbei und lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich. Gezogen – Mist! Oder verpasst und erschossen worden – ebenso Mist. Also nochmal. Doch es lauern auch Gefahren von außen, wenn man so will. In einem Fall bin ich in einer Konzentrationsphase durch eine Autohupe von draußen animiert worden, die Knarre nach oben zu reißen!!!

Für ein paar Dollar mehr


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Man muss sich allerdings auch mit einem Sniper in einer modernen Umgebung auseinandersetzen, der ständig seine Position wechselt. © 4P/Screenshot

Später kommen nicht nur erzählerisch verstörende Versatzstücke wie Epochenwechsel, Fantasy-Einflüsse und einiges mehr dazu. Auch die, nennen wir es mal: Puzzle-Elemente bekommen eine zunehmend größere Rolle. Das können mehr Ablenkungen sein, mehrere Positionen, an denen der Gegner erscheinen kann oder Figuren, bei denen man in Sekundenschnelle bevor die Glocke ertönt, den einen Unterschied finden muss, der den richtigen Gegner markiert. Peripheres Sehen. Erkennen, woher das Laserfernrohr des Snipers auf einen zuwandert. Und noch einiges mehr. Zwar wird man dabei mehr und mehr gefordert und die Konzentrationsfähigkeit zusammen mit Reaktion und Hand-/Auge-Koordination auf eine harte Probe gestellt. Doch unter dem Strich bleibt es fair. Mitunter kann es ein paar Versuche dauern, bis es „Klick“ macht und man das Duell-Rätsel durchschaut. Aber nur das Wissen um die Lösung, heißt nicht automatisch, dass man ihr zwangsläufig näher kommt. Denn man muss diese Kenntnis noch in die Tat umsetzen.

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Zur Entspannung gibt es nach den intensiven Duellen eine an Fruit Ninja erinnernde Schießbude. © 4P/Screenshot

Und damit dies so gut wie möglich funktioniert, ist vor allem mit PlayStation VR eine optimale Einrichtung des Systems nötig. Wenn häufig nur ein Schuss zählt, ist es zwangsläufig, dass Konfigurations- oder Erfassungsprobleme sämtliche gute Reaktionen zu Nichte machen können. Läuft alles akkurat, ist die Genauigkeit ähnlich hoch wie bei den Vive- oder Rift-Versionen. Die haben allerdings noch den zusätzlichen Vorteil, dass sie visuell einen leichten (jedoch nicht die Wertung beeinflussenden) Vorsprung haben. Die Kulisse, die häufig ähnlich minimalistisch ist wie das Konzept, zeigt auf der PlayStation 4 Pro weniger geglättete Kanten als hinter den PC-Brillen. Das wirkt sich zwar niemals auf das Spielgefühl aus und sorgt auch nach längeren Duell-Sessions wider Erwarten nicht für Kopfschmerzen. Doch unter dem Strich wirken die Fassungen für Vive und Rift letztlich angenehmer für die Augen. Dem steht allerdings die bessere „Colt“-Haptik des PlayStation-Move-Controllers im Vergleich zum Oculus Touch gegenüber, der einen Tick zu leicht ist, um dieses Gefühl akkurat widerzuspiegeln, so dass ich bei der Wahl zwischen PSVR und Rift trotz Kanten zu Sony Virtual Reality tendieren würde. Vive mit seinen ohnehin recht schweren Knüppeln liefert hier das authentischste Gefühl ab.