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Chained Echoes (Rollenspiel) – JRPG-Highlight aus Deutschland

Mit Chained Echoes kommt kurz vor Jahresende ein echtes Rollenspiel-Highlight in die 4Players-Redaktion geflattert. Das Ein-Mann-Projekt aus NRW bricht mit Traditionen, erzählt auf ganz hohem Niveau und ist eines der besten Rollenspiele des Jahres 2022. Wieso selbst JRPG-Verächter Eike von diesem Epos verzaubert ist, lest ihr in unserem Test.

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Kein Sieg ohne Taktik

Doch das ist noch nicht alles: Es gibt außerdem eine „Overdrive“ genannte Anzeige, die die Effizienz des eigenen Teams symbolisiert. Mit jeder Angriffs-Aktion oder einer der bis zu acht erlernten Fähigkeiten verschiebt sich der Marker auf dieser Anzeige nach rechts. Zunächst vom Neutralen in den grünen „Overdrive“-Bereich, in dem die eigene Party härter austeilt und weniger Schaden einsteckt. Übertreibe ich es mit der Gewalt, rutscht der Regler in den roten Abschnitt, in dem meine Figuren doppelten Schaden erhalten. Um das zu vermeiden, muss ich entweder Charaktere rotieren, eine Verteidigungshaltung einnehmen lassen oder gelb hinterlegte Fähigkeiten auslösen, die die Markierung wieder nach links rutschen lassen.

Zusätzlich kann jede Figur auch noch eine Ultra-Fähigkeit auslösen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. So kann Glenn etwa mit einem Schlaggewitter seiner Servorüstung nicht nur massig Schaden austeilen, sondern auch die Verteidigung und den Angriff der Gegner schwächen, während der Barde Victor die TP-Regeneration der Party anregt. Diese Technikpunkte werden für Fähigkeiten gebraucht, sind also essenziell für erfolgreiche Kämpfe. Somit gibt es eine weitere taktische Ebene, die es für mich zu bedenken gilt – zumal die Ultra-Fähigkeiten ebenfalls den Overdrive sinken lassen. Ihr merkt schon: Selbst einfache Kämpfe werden so schnell zu komplexen Kampf-Puzzles, die gerade zu Beginn ordentlich fordern.

Eine Kulisse zum Verlieben


Besonders spektakulär sind die Kämpfe gegen die vielen großartig entworfenen Bossgegner. Die Schlachten sind nämlich nur harte Auseinandersetzungen, sondern zum Teil auch mit Rätseln verbunden. So muss ich an einem Punkt etwa gleichzeitig einen fiesen Höhlenbewohner bearbeiten und einer beweglichen Plattform Bewegungsbefehle per Schwertstreich mitteilen, die meine Party ansonsten in den sicheren Tod fahren lässt. Das ist fordernd, gleichzeitig aber auch wunderbar kreativ und episch.

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Schöner wird’s selten: Die 16-Bit-Kulisse von Chained Echoes ist ein Fest für Pixel-Liebhaber. © 4P/Screenshot

Dazu passend ein kurzes Wort zur Kulisse, die mich wirklich unheimlich beeindruckt: Der 16-Bit-Edellook von Chained Echoes brilliert mit tollen Farben, wundervollen Animationen und endlosen Details in seinen Pixel-Welten. Es gibt knuffige Haustiere zum Herzen und variantenreiche Umgebungen von belebten Städten über finstere Wälder bis hin zu windumtosten Berggipfeln. Jede Kampf-Aktion hat kleinteilige, herzergreifend detailverliebte Animationen und das Gegnerdesign reicht von Pokémon-esker Knuffigkeit (Fliegen mit Boxhandschuhen, Mini-Schweine mit Riesenohren, Woll-Schildkröten) bis hin zu gigantischen Drachen und fiesen Dämonen. Ganz generell ist das Artdesign obere Spitzenklasse: Die gediegene Mischung aus Fantasy und Steampunk nimmt sich selbst nie zu ernst, transportiert aber eine wahnsinnig glaubwürdige Welt, die genau an den richtigen Momenten Leichtigkeit oder Tiefgang versprüht. Das all das aus dem Hirn nur einer einzigen Person stammen soll, ist für mich kaum zu begreifen und nötigt mir größten Respekt ab.

Gleiches gilt für die Balance, die mir ausgesprochen ausgewogen erscheint. Und das angesichts dutzender Fähigkeiten die ich pro Charakter in drei Kategorien (aktiv, passiv, Stat-Boost) freischalten kann. Sicher hilft es in diesem Zusammenhang, dass der Charakterfortschritt an die Handlung geknüpft ist: Die für das Erlernen neuer Fähigkeiten notwendigen Grimoire-Splitter erhalte ich nur nach Bosskämpfen oder Story-Ereignissen, außerdem gilt der Fortschritt immer für die ganze Party – auch für Figuren, die vielleicht gerade nicht dabei sind. Auf diese Weise ist das Stärke-Niveau besser auf die Umgebungen abzustimmen, allerdings gibt es mit kombinierbaren Fähigkeitenkristallen und in mehreren Stufen verbesserbaren Waffen und Rüstungen eine weitere Upgrade-Ebene, die viel individuelle Party-Gestaltung zulässt.

Upgrades? Ja, Bitte!


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Die Herausforderungskämpfe für Klassen-Wappen sind mitunter knüppelschwer. © 4P/Screenshot

Das Gute dabei: Jedes Upgrade hat nachhaltige Auswirkungen. Die Statistik-Verbesserungen durch neue Rüstungen, aufgemotzte Waffen oder die über das Beten an Schreinen verfügbaren Klassen-Wappen haben direkte Auswirkungen auf die Effizienz der eigenen Truppe. Und es ist wirklich extrem befriedigend, wenn Feinde, die zuvor den Dungeon-Boden mit meinen Kämpfern poliert haben, nach einer ausgedehnten Shopping- und Upgrade-Tour endlich Dreck fressen. Obendrauf gibt es noch eine Belohnungstafel, über die man mittels Herausforderungen Geld und Materialien verdienen kann. Das ist allerdings kein Sinnlos-Nebenquest-Brett, sondern geschickt über ein Menü aufrufbar und nebenbei zu erledigen, ohne ständig hin- und herzurennen. Wie ich schon sagte: Chained Echoes fühlt sich eben an wie ein JRPG – nur ohne den ganzen Quatsch.

Dazu passt, dass die durchaus vorhandenen Nebenquests wunderbar organisch ins Spiel eingewoben sind – und eben nicht aus einem Menü heraus nach und nach abgearbeitet werden. Auch die vielen Komfortentscheidungen im Menü überzeugen: So können die Upgrade-Kristalle auf Knopfdruck kombiniert werden und auch eine automatische Optimierung der Ausrüstung ist möglich. Zudem kann man jederzeit auf alle Items im Party-Inventar zugreifen – auch wenn die mit der Waffe ausgestattete Figur gerade mal nicht dabei ist.

Qualität auf allen Ebenen


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Die „Himmelsrüstung“ genannten Kampfmechs ziehen das Kampfsystem nach 15 Stunden nochmal auf Links. © 4P/Screenshot

Dass die Story nach rund 15 Stunden nochmal richtig aufdreht und ich mit einer eigenen Himmelsrüstung nicht nur eine neue Waffe oder einen frischen Super-Angriff sondern gleich eine völlig neue Kampf- und Bewegungsmechanik bekomme, die vieles am Spiel grundlegend ändert, ist angesichts der übrigen Qualität beinahe schon fast zu erwarten. Dass die großen Kartenabschnitte unendlich viele Erkundungsanreize bieten, mich mit geheimen Höhlen, vergrabenen Schätzen und optionalen Bossmonstern locken, ebenfalls. Dass es zusätzlich zum eigenen Kampmech auch ein eigenes Luftschiff gibt, setzt der Begeisterung für dieses Rollenspiel-Kleinod nur noch die Krone auf. Dass dann auch noch der Soundtrack passt, der für jedes Gebiet den passenden Midi-Track bereithält, brauche ich ja wohl kaum noch zu erwähnen, oder?

Klar ist aber auch: Auch ein Hit wie Chained Echoes hat ein paar Ecken und Kanten. Einerseits sind einige Bereiche etwas zu labyrinthartig entworfen und ein paar Leitern zu schlecht zu erkennen. Ja, die eine oder andere Tür lässt sich nicht sofort öffnen – und tatsächlich sind mir ein paar Tippfehler und fehlende Übersetzungen in den Texten aufgefallen, denn der deutschen Produktion zum Trotz war Englisch wohl dennoch die Hauptsprache während der Entwicklung. Das ist allerdings beinahe Makulatur, denn in seinen Kern-Werten liefert Chained Echoes durchgehend auf allerhöchstem Niveau ab.

Kommentare

73 Kommentare

  1. cM0 hat geschrieben: 15.12.2022 20:31 Leute, denen Chained Echoes gefällt, möchte ich auch "Rise of the Third Power" ans Herz legen, denn auch das entwickelt einige typische JRPG-Mechaniken weiter und bietet eine gute Story mit interessanten Charakteren.
    Da ich gerade Chained Echoes spiele und darin versinke, habe ich mir nun auch Rise of the Third Power bestellt. Danke für den Tipp und ich hoffe, der Titel gefällt mir auch so gut wie dir :)

  2. Bei dem Assassinenmädchen und den Poeten habe ich auf Amalia gesetzt. Ihr "Reraise"-Skill, der automatisch alle wiederbelebt die in den nächsten Runden sterben, war hier Gold wert.

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