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Assassin’s Creed Rogue (Action-Adventure) – Hinlaufen und abholen

Eine Hassliebe verbindet mich mit Assassin’s Creed – nicht nur mit dem
aktuellen, sondern der gesamten Serie. Auf der einen Seite ist da das
entspannende Gefühl, mir nach einem anstrengenden Tag beim Spielen
zuzusehen: Die automatischen Bewegungen wirken wie Beruhigungsmittel.
Auf der anderen Seite ist da aber eine Spielwelt, die wie ein
drängelndes Kind um Aufmerksamkeit bettelt: „Komm hier her!“, „Spiel
dieses!“, „Versuch jenes!“ „Log dich ein, sammel‘ Punkte, nimm alles
mit!“ Wie soll ich diesen Beschäftigungszirkus ernst nehmen?

© Ubisoft / Ubisoft

Game Must Go On!

Auf hoher See setzt sich das profane „Hinfahren und Abholen“ nahtlos fort. Wertvolles Treibgut, das den Nordatlantik wie Hänschens Krümelspur ziert, klickt man mit einem Tastendruck an Bord. Die Crew wirft nicht einmal eine Leine aus. Hauptsache, es geht schnell. Game Must Go On! Ein Angriff auf kleine Boote sieht so aus: Shays Schiff, die Morrigan, rast auf ein Kanonenboot zu, dieses sinkt sofort und per Tastendruck hole ich binnen eines Wimpernschlags über Bord Gegangene sowie die fremde Ladung ein. Das zerstört jede Illusion.

Dabei sind Seeschlachten durchaus aufregend, wenn Kanonensalven großer Pötte über den Ozean krachen und eine volle Breitseite einschlägt. Es ist zwar lächerlich, dass ich Schaden vom Schiff abwende, wenn Shay während des Einschlags in Deckung geht, doch das Spektakel ist zumindest unterhaltsam. Mit geenterten Schiffen repariert Shay zudem die Morrigan oder er fügt sie seiner Flotte hinzu. In einem ebenso strategischen wie überflüssigen Minispiel weist er Schiffen dann auf einer Karte Missionen zu. Erfolgreiche Aufträge füllen Kasse und Laderaum.

Er trifft mich, er trifft mich nicht…

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Die Kämpfe funktionieren besonders beim Entern nicht so wie sie sollen. © 4P/Screenshot

Während des Enterns fällt allerdings eine weitere Schwachstelle ins Auge: Die Schwertkämpfe sind im Angesicht moderner Action eine Farce. Denn abgesehen davon, dass Shay die meisten Gefechte mit links gewinnt, leiden die Kämpfe unter technischen Mängeln. So inszeniert Ubisoft die Scharmützel ähnlich wie Batmans Arkham-Serie als Reaktionsspiel – ein Knopf wehrt Angriffe ab, ein anderer durchbricht die Deckung, ein weiterer versetzt den Todesstoß.

Nur funktioniert die Zuweisung oft nicht. Mal verteidigt sich Shay nicht, ein andermal trifft er den Gegner nicht. Mit Höhenunterschieden in der Größe einer Treppenstufe hat Assassin’s Creed massive Schwierigkeiten. Besonders die Gefechte an Deck eines Schiffs, an denen zahlreiche feindliche und eigene Kämpfer beteiligt sind, geraten so zum heillosen Durcheinander. Das Spiel kann Aktionen und Bewegungen der vielen Fechter schlecht koordinieren und produziert deshalb Fehler.

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Die Belohnung eifriger Kletterer: fantastische Aussichten in New York und freier Natur. © 4P/Screenshot


Spätestens in diesem Jahr, mit Blick auf Mittelerde: Mordors Schatten, kann ich diese ungeschliffene Inszenierung nicht mehr entschuldigen. Wo ich in Tolkiens Universum ohne eingeblendete Aktionshinweise präzise schlachte und taktiere, reagiert der Assassine selbst mit omnipräsenten Eingabeaufforderungen nicht zuverlässig.

Erlebte Geschichte


Die Mühe lohnt sich ja! Viele Panoramen sehen fantastisch aus. Staub weht durch die Siedlungen des frühen Nordamerika, Regen vermiest Shay schon mal den Tag und im Schnee hinterlässt er tiefe Spuren. Am meisten überzeugt einmal mehr die Darstellung einer Stadt: Im New York des 18. Jahrhunderts ist die heutige Metropole zwar kaum zu erkennen, doch ich genieße jeden Schritt über belebte Märkte, lese Werbetafeln an kahlen Backsteinwänden und schlendere zu einer ruhigen Musik, die überraschend eindeutig Ezios Abenteuer in Italien zitiert.

Wenn ich so durch die Straße bummele, spüre ich die alte Liebe für Assassin’s Creed – diese Illusion ein Stück Geschichte zu erleben. Das ist nicht so beeindruckend wie in Unity, dem trotz seiner Fehler visuell beeindruckenderen Abenteuer mit neuer Technologie. Dem stilvollen Erlebnis in Nordamerika kann der grafische Rückstand aber nichts anhaben.