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Yakuza 6: The Song of Life (Action-Adventure) – Abschied von einer Legende

Nach etwa 40 Stunden war Kazuma Kiryu 100 Kilometer gelaufen – gegangen, wohl gemerkt, nicht gerannt. Denn mit Yakuza 6 hat Sega virtuelle Kulissen erschaffen, die so lebendig wirken, dass ich nicht einfach hindurch sprinten konnte, sondern jeden Augenblick wie die Reise an einen exotischen Urlaubsort genossen habe. Offiziell war es das letzte Mal, dass Kazuma die Hauptfigur seines eigenen Abenteuers war und im Test gehen wir ganz ohne Spoiler der Frage nach, wie gut ihm dieser Abschied gelungen ist.

© SEGA / SEGA

Traditionsreiche Geschichte

Wenn es hier mehr als einhundert Kilometer waren, müssen es in den vergangenen zwölf Jahren weit über tausend gewesen sein: mehr als eintausend Kilometer, die ich in den sieben Teilen der Hauptserie (Yakuza 0 zähle ich als Vorgeschichte dazu) und fast allen ihrer Ableger zurückgelegt habe. Die Yakuza-Serie hat einen besonderen Platz in meiner Spiele-Vita eingenommen, weil es mir mehr als jedes GTA das Gefühl vermittelt, mich in einer plastischen Parallelwelt zu befinden.

Dabei ist auch Yakuza 6 keine tiefsinnige Lebenssimulation, sondern ein Prügler, in dem Kazuma etliche Ganoven vermöbelt, um irgendwann deren Bosse auszuschalten. Zwischendurch vertreibt er sich in Karaoke-Bars, beim Dartspielen, am Outrun- oder Virtua-Fighter-Automaten, an einhändigen Banditen, im Fitness-Studio, auf dem Baseball-Platz, in Restaurants oder beim

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Ob das schillernde Kamurocho bei Nacht… © 4P/Screenshot

Flirt mit einer Hostess die Zeit.

Lupe statt Fernrohr

Dass seine Welt diesmal so lebendig wirkt, liegt aber nicht an der Vielzahl der Beschäftigungen. Es liegt daran, dass Sega gar nicht erst versucht, etwa ganz Los Angeles nachzubauen, und sich vielmehr auf wenige Querstraßen eines einzelnen Stadtteils beschränkt: In Kamurocho, einer verblüffend realitätsnahen Version von Tokios Vergnügungsviertel Kabukicho, spiegeln sich neonstrahlende Reklametafeln im nassen Asphalt. Werbetafeln, Fahrräder sowie Mofas stehen auf dem Bürgersteig, während Geschäfte, Bars oder Cafés zum Hereingehen einladen, damit man dort kurze Abenteuer erleben oder sich die Zeit mit kleinen Herausforderungen vertreiben möge.

Ständig wechselt das detaillierte Muster der Pflastersteine, die Ventilatoren etlicher Klimaanlagen „zieren“ abgewetzte Mauern vernachlässigter Hinterhöfe – wo Rockstar hauptsächlich das Gefühl einfängt, durch eine große Stadt zu cruisen, richten Segas Entwickler ihren Blick ähnlich wie gute Anime-Zeichner auf scheinbar unwichtige Kleinigkeiten. Das in dicken Asphaltnähten gespiegelte Neonlicht erdet Kamurocho stärker als es ein Meer aus Wolkenkratzern je könnte.

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… oder das dörfliche Onomichi: Yakuza 6 sieht vor allem in Bewegung umwerfend gut aus. © 4P/Screenshot

In der Ruhe liegt die Schönheit

Und endlich ist der normale Gang Kazumas wichtigste Fortbewegungsart! Denn zum ersten Mal genießt man das einzigartige Vor-Ort-Sein, wahlweise sogar in Ego-Perspektive, ohne ihn durch Halten eines zusätzlichen Knopfs erst vom Rennen abzuhalten. Diese Langsamkeit hebt das Spielgefühl auf eine Stufe, von der die Serie zuvor ein ganzes Stück entfernt war. Gefühlt steht man direkt daneben, wenn der ehemalige Yakuza jede Tür per Hand öffnet, anstatt einfach hindurch zu preschen. Man beobachtet ihn, wie er jeden Schritt auf eine Stufe setzt, anstatt drüber weg zu gleiten, lauscht allen erstmals komplett vertonten Passanten und Auftraggebern, und begleitet ihn in eins der vielen Etablissement, die alle ohne Ladeunterbrechung begehbar sind. Es fühlt sich großartig an, ein Café am Millennium Tower zu betreten, um vom ersten Stock oder gar der Dachterrasse aus auf die Straßen davor zu blicken.

Ja, ich habe gerade eine komplette Seite lang nur das Laufen durch virtuelle Kulissen beschrieben. Aber gerade in einer offenen Welt ist das Mittendringefühl für mich von entscheidender Bedeutung. Und Yakuza 6 erzeugt die mit Abstand beste Illusion Teil einer lebendigen Welt zu sein!