Ein Erbe zum Schämen
Zwei Männer lehnen über dem Geländer eines Wolkenkratzers, lassen ihren Blick wehmütig über die leuchtenden Spielzeugdächer ihrer Stadt gleiten. Gedankenverloren sinnieren sie über die Zukunft ihrer Familie und schließlich stehen sie sich als Feinde gegenüber. Yakuza 3 beginnt dort, wo Yakuza 2 aufhörte. Das bedeutet natürlich auch: Wenn die Kamera unter dem Schrei eines Protagonisten von der Nahaufnahme in die Totale schwenkt, wird so viel Pathos durch die Mattscheibe gepresst, dass man sich beinahe vom Fernseher fortschämt. Der Freundin erklärt man dann, das wäre so aufrichtig naiv, dass es schon wieder sympathisch ist…
Und es stimmt ja! Was meiner westlich geprägten Vorliebe für leise Töne nämlich maßlos übertrieben scheint, ist nur eins von etlichen Symptomen, die der Yakuza-Serie eine viel zu seltene Gesundheit diagnostizieren: Yakuza ist eine gutmütige Mutation aus verspielter
Arcade-Unterhaltung, unverschämter Detailverliebtheit und ganz großem B-Kino!
Was es auch schon immer war. Von Anfang an war ich als Ex-Gangster Kazuma Kiryu in Tokios unterwegs, habe mich mit einfachen Räubern und schweren Verbrechern herumgeschlagen, habe die folgenschweren Verstrickungen hinterhältiger Verschwörungen entwirrt und mich Dutzende Stunden lang in Tokios Nachtleben amüsiert. Denn so brachial die Faustkämpfe stets waren und so sehr sie in der Erzählung im Vordergrund standen, so sehr können sie in den Hintergrund rücken. Es kommt darauf an, wie man Yakuza spielt. Ob man nur dem langen roten Faden folgt oder ob man Segas Tokio in aller Ruhe entdeckt: Für mich ist es nicht das Spektakel, das Yakuza auszeichnet – vielmehr verbinde ich mit Yakuza tausend kleine Geschichten, in denen ich mir Freunde gemacht, geflirtet, gekämpft, um Geld gezockt, Teddybären geangelt, Ganoven entlarvt, alten Damen geholfen, gerätselt oder mich einfach nur unterhalten habe. Auch wenn das digitale Nachtleben immer seine Schwächen hatte: Für mich gehört Yakuza zu den wichtigsten Serien der PS2-Geschichte!
Ein Yakuza auf Urlaub
Dabei simuliert Sega damals wie heute nicht etwa ganz Tokio, wie es Rockstar vielleicht tun würde. Vielmehr pickten sich die Macher das berühmt-berüchtigte Vergnügungsviertel Kabukicho heraus und bauten eine beinahe identische Kopie des Stadtteils. Kamurocho heißt die Gegend im Spiel – berühmt ist ihr leuchtendes Reklamemeer, berüchtigt ist sie für die Machenschaften der japanischen Yakuza. Es ist das Zuhause von Kazuma Kiryu, dem Sohn eines ehemaligen Yakuza-Bosses. Doch nachdem Kazuma zehn Jahre unschuldig im Gefängnis war, wollte er Abstand von seiner Mafia-Familie halten. Dass er dennoch immer wieder in die Intrigen seines Clans hineingezogen wird, liegt in der Natur des Actionspiels. Trotzdem versucht er, aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. Und so beginnt Yakuza 3 ähnlich wie sein Vorgänger nicht etwa in Kamurocho, sondern in Okinawa, wo Kazuma abseits vom Straßenlärm ein Waisenhaus leitet.
Die alltägliche Odyssey
Es ist mutig, mit wieviel Ruhe Sega das dritte Kapitel der Saga angeht: Zehn Stunden habe ich gebraucht, bevor Kazuma erstmals wieder unter dem roten Markenzeichen der Tenkaichi Street feststellt: „Manches ändert sich wohl nie.“ Alles davor ist eine Rückblende zu der Zeit zwischen dem zweiten und dem dritten Spiel, an die ruhigen Pazifikwellen am Strand von Okinawa, an das Heranwachsen seiner Ziehtochter Haruka sowie das der anderen Kinder. U.a. kann Kazuma seiner bunten Sippe den Wert von Ehrlichkeit, Freundschaft oder sogar Liebe beibringen – falls ihm, oder vielmehr mir, der Sinn danach steht. Ich könnte den ganzen gefühlsschwangeren Klimbim ja auch sein lassen, ein paar erste Prügeleien austragen, um endlich wieder nach Tokio zu kommen.