Die Frikadelle am Ohr


Für alle Fähigkeiten, die der Spieler im Laufe einer Ermittlung einsetzen will, sind Punkte fällig: Für den erfolgreichen Verlauf eines wichtigen, weil informativen Zwiegesprächs werden ein paar Zähler vom Kraftkonto abgezogen, beim Einsatz der einzigartigen Vampir-Power steigt Stück für Stück der Hunger auf frisches Blut. Sind beide Konten leer, ist die gestellte Aufgabe in einem Spielabschnitt nicht mehr zu lösen. Die Balken wieder aufzufüllen, ist leider grausam: Neue Kraftpunkte kommen wieder hinzu, indem alle Punkte einer Konversation brav abgefragt werden, der Hunger ist natürlich mit dem Blut Unschuldiger zu stillen. Dafür muss erst ein Raum gefunden werden, in dem es keine unerwünschten Zuschauer gibt.

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Das langweilige, beleidigene einfache Beiß-Minispiel hängt euch schon nach kurzer Zeit zum Halse raus. © 4P/Screenshot
Dann blinkt bei einigen, zufällig herumlaufenden Personen, ein neuer Menüpunkt auf. Der Vampir flüstert seine hypnotisierenden Worte und schon kann per lausigem Minispiel zugebissen werden. Lausig deshalb, weil der Spieler im Verlauf des Spiels dann rund hundertmal die immer gleiche Animation über sich ergehen lassen muss, zudem ist die bissige Aktion lachhaft einfach und einfach nur öde. Schon eingeschlafen? Es wird noch „besser“: Denn Kämpfe oder auch nur den Hauch von adrenalinfördernden Handgreiflichkeiten gibt es in Swansong nicht. Stattdessen wird gelabert — und zwar ohne Unterlass. Statt also dem Vampir von den Zähnen, tropft dem Spieler das Blut aus dem Ohr.

2003 will Technik und Gameplay zurück


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Die optisch unterirdische Qualität des desinfizierenden Dampfes steht sinnbildlich für die sonstige Optik des Spiels. © 4P/Screenshot
Klar, in Rollenspielen wird im Allgemeinen gern und viel erzählt, allerdings hat das Gegenüber in den meisten Fällen etwas Interessantes zu berichten und der weitere Verlauf wird durch das Sammeln, Craften und, ganz wichtig, Kämpfen aufgelockert. Das ist in Swangsong nicht der Fall! So laufen die Einsätze nach einem Schema ab, dass Spiele dieses Genres im Jahr 2022 schon längst tief begraben zu haben schienen: Der Spieler sucht die karge und uninspirierte Spielumgebung nach Hinweisen ab, hat dabei natürlich größte Mühe, jeweils das kleine X für die Interaktion mit einem ganz bestimmten Gegenstand einzublenden. Nehmen wir zum Beispiel einen Küchenschrank mit zwei Türen, die jeweils einzeln zu öffnen sind – darin befindet sich dann ein Notizzettel. Wie viel Spaß kann es machen, die Kamera Millimeter für Millimeter zu drehen, um endlich Zugriff auf die korrekte Einblendung zu bekommen? Wird zudem ein wichtiges Kleinteil übersehen, kann man sich auf ein paar Extra-Runden durch die labyrinthartigen Gangsysteme gefasst machen.

Denn fehlen Zahlencodes, eine Rolle Klebeband oder eine Batterie, rückt ein erfolgreicher Abschluss des Einsatzes in weite Ferne. Also erstmal alles absuchen, Optik und Animationen der Spielfigur erinnern dabei an Spiele aus längst vergangenen Zeiten. Gelaufen werden – und das noch viel zu langsam – kann nur, wenn das Spiel es zulässt und bei den starren und ausdruckslosen Gesichtern der meisten Gesprächspartner läuft einem mehr als nur ein kalter Schauer über den Rücken. Das Schlimme ist, dass man die Plastik-Fratzen und deren emotionsloses und uninspiriertes Gequatsche samt spärlicher Hand-oder Armbewegungen minutenlang ertragen muss. Eine Möglichkeit, gesprochene Sätze zu überspringen, gibt es nur, wenn eine Mission erneut in Angriff genommen wird.

Quälende Wiederholungen


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Der Talentbaum ist bei allen drei Figuren viel zu ähnlich und bietet kaum Platz für Experimente. © 4P/Screenshot
Zu Beginn sind die Wortgefechte zumindest ein kleines Highlight, das im weiteren Verlauf allerdings arg überstrapaziert wird. Hier kommen die Überzeugungs-, Einschüchterungs- oder sonstige Psychologie-Fähigkeiten zum Tragen: Es muss zwei- oder dreimal gelingen, dem Gegenüber mit einer bezaubernden Antwort den Schneid abzukaufen. Sind Hunger und Kraftbalken aber bereits zu niedrig, ist von einem Sieg der Worte hier nur zu träumen, eine entsprechende Niederlage unabwendbar. Das gilt auch für alle anderen Aktionen, die zum erfolgreichen Abschluss einer Mission führen könnten. Es kann weder manuell gespeichert, noch zurückgespult werden. Ist das Endergebnis einer einstündigen Aufgabe nicht zufriedenstellend, ist die ganze Chose erneut ganz von vorn zu bewältigen. Diese rudimentäre und krude Mechanik hat in einem modernen Videospiel nichts zu suchen.

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Nach einem Einsatz wird angezeigt, was alles verpasst wurde. Na, Lust auf noch eine Runde? © 4P/Screenshot
Das gilt auch für die nervigen, zeitraubenden und unlogischen Rätsel, die obendrein deplatziert und aufgesetzt wirken. Besonders drei mechanische Steinscheiben, die in bestimmten Konstellationen einzeln oder im Pulk zu einem passenden Bild zusammengesetzt werden sollen, gehören zu den wohl langweiligsten Fragestellungen, die es geben kann. Natürlich wird diese Tortur dem Spieler nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal hintereinander zugemutet. Über das Rätsel mit den Freudschen Schwänen breiten wir hier lieber einen Mantel des Schweigens. Kurzum: Auch diese Einlagen bringen keinen Spaß und sorgen eher dafür, dass man sich schnell ein anderes, ein besseres Spiel herbeisehnt. Immerhin erfährt der Spieler in den unzähligen und ausartenden Konversationen viel über die Welt von Vampire: The Masquerade. Wären Figuren glaubhafter, die Vertonung sorgfältiger, gewiefter und gewitzter, könnte stellenweise sogar ein Funke von Interesse entstehen. Auch die verschiedenen Enden, die vom Erfolg der Protagonisten während ihrer Einsätze abhängen, können bestimmte Spielernaturen sicherlich ein Weilchen bei der Stange halten. Klar ist, dass der erste Durchgang bei den meisten Zockern nicht von dem besten Ende gekrönt wird – um das zu bekommen, sind Notizzettel, höchste Frustresistenz und eine Menge Durchhaltevermögen vonnöten.