Realität, Teil 1
Ich will an dieser Stelle keinen Exkurs über die Geschichte des Pro Wrestling im Allgemeinen und die WWE (ehemals WWF) im Besonderen halten. Doch um die Rivalität zwischen der derzeit größten Sports Entertainment-Promotion WWE und dem immer stärker werdenden Emporkömmling TNA zu verstehen, die natürlich auch Auswirkungen auf das Spiel hat, muss man doch etwas ausholen.
Vince McMahon hat mit World Wrestling Entertainment seit der ersten Glanzzeit in den 80er Jahren, angeführt von Stars wie Hulk Hogan, „Macho Man“ Randy Savage, dem Ultimate Warrior und einigen anderen, viele Phasen und Krisen durchgemacht.
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Kurt Angle war, wie viele seiner TNA-Kollegen, auch schon in Vince McMahons WWE aktiv. Virtuell sieht er hier aber dank Unreal Engine so gut aus wie nie zuvor. |
In den so genannten „Monday Night Wars“ Anfang der 90er musste man sich lange Zeit der Konkurrenz von WCW (World Championship Wrestling) geschlagen geben, bis man mit der so genannten „Attitude“-Ära rund um The Rock und „Stone Cold“ Steve Austin wieder aufholen konnte und schließlich wieder zur Nummer 1 wurde. Mittlerweile ist die WCW graue Vergangenheit, die Rechte liegen komplett bei der WWE. Ähnliches kann man für die ECW sagen: Einst die erfolgreichste Independent Promotion hat das Extreme Championship Wrestling unter WWE-Führung viel seiner ursprünglichen Faszination und Anarchie (z.B. mit Stacheldraht-Matches) eingebüßt.
Doch nicht nur deswegen wurde von Jeff Jarrett (ehemals WWF- und WCW-Wrestler), seinem Vater Jerry sowie Dixie Carter mit TNA (Total Nonstop Wrestling) eine neue Ringkampf-Promotion aus dem Boden gestampft.
Und alles sollte ein bisschen anders sein. Die Regeln wurden z.B. abgewandelt: So kann ein Titel im Gegensatz zur weitläufigen Konkurrenz den Besitzer auch bei Disqualifikation oder Countout wechseln.
Doch das auffälligste Merkmal von TNA ist der Ring. Der kommt sechseckig statt in der normalen Quadratform daher.
Doch auch im Umgang mit den Wrestlern gibt sich der Underdog in der Außendarstellung etwas anders. Weg vom industrialisierten Massenmarkt-Management der WWE, hin zu einer fast familiären Atmosphäre wird TNA propagiert. Aber ähnlich wie damals die WCW setzt sich das Team an TNA-Sportlern aus vielen Ex-WWE-Mitarbeitern zusammen.
Hinter den Kulissen sind Vince Russo und Jim Cornette am Werk. Vor den Kameras agieren Ringrichter wie die Hebner-Zwillinge und Athleten wie Kurt Angle, Christian Cage, Rhino, Booker T, oder Brother Ray und Brother D’Von (in der WWE als Dudleys unterwegs). Nahezu jeder namhafte Wrestler, der bei der WWE aus seinem Vertrag entlassen wird, taucht früher oder später bei der TNA auf – und sei es auch nur als Gast.
Einer der prominentesten Neuzugänge ist Mick Foley, der nach seinen unvergesslichen Auftritten in den Mankind- und Cactus Jack-Personas zuletzt bei der WWE als Kommentator eingesetzt wurde.
Dieser Schlag scheint die WWE doch härter getroffen zu haben. Denn der ursprünglich als Hall of Famer gehandelte Foley wurde sogar kurzfristig auf WWE-Anweisung aus den geplanten Videospielen wie Legends of WrestleMania gestrichen!
Realität, Teil 2
Doch die Wirklichkeit war für Midway L.A., die Entwickler von Impact, wohl etwas zu schnell. Denn Mick Foley ist weit und breit nicht zu sehen – obwohl sie ihn eigentlich hätten verwenden dürfen. Wobei im Gegensatz zu den in den letzten Jahren berstend vollen Rostern der Smackdown vs. Raw-Serie (SvR), TNA ohnehin vergleichsweise sparsam bleibt. Mit gut 30
Athleten, die aber im Wesentlichen die Creme de la Creme der TNA-Riege darstellen, hat man als Spieler dennoch eine passable Auswahl – zumal hier wie da gilt, dass man sich ohnehin auf seine Favoriten stürzt.
Auch die TNA Knockouts (das Gegenstück zu den Divas der WWE, also die weiblichen Wrestling-Stars) wurden sträflich vernachlässigt und gleich außen vorgelassen.
Und obendrauf ist der Editor derart rudimentär, dass die Möglichkeit, fehlende Wrestler hinzuzufügen, stark eingeschränkt wird; von weiblichen Sportlern ganz zu schweigen…
Doch das alles könnte ich noch verschmerzen – genau wie ich beim echten TNA-TV-Produkt die durchaus schwache Kameraarbeit und die insgesamt eher niedrigen Produktionsstandards übersehen kann, wenn das Ergebnis im Ring stimmt. Und dort passt es. Der ungehobelte Anarcho-Charme erinnert bei der echten TNA an die Frühphasen von WCW oder ECW. Auch wenn man natürlich auch hier nur mit Wasser kocht und bestimmte Wrestling-Moves einfach unverändert bleiben.
Bei einem Spiel hingegen erwarte ich mehr Liebe zum Detail – in jeder Hinsicht: Spielerisch, inhaltlich, technisch. Denn wo die letzten WWE-Spiele es mit ihrer wahrlich nicht perfekten Hochglanz-Fassade geschafft haben, das ohnehin schon übertriebene Ereignis Wrestling vollkommen zu überhöhen, wirkt Impact so, als ob man zwanghaft versucht hat, anders zu sein.
Das entspricht zwar im Wesentlichen den echten TNA-Ursprüngen und wäre dadurch schon fast sympathisch, doch im Spiel wirkt es einfach nur unangebracht. Denn unter dem Strich schadet sich Impact damit nur selber.