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The Long Dark (Survival & Crafting) – Jack London lässt grüßen

Das war ein langer Weg in die finale Dunkelheit: Im September 2013 hat das frisch gegründete Studio „Hinterland Games“ eine postapokalyptische Überlebenssimulation mit episodischem Ansatz angekündigt. Ehemalige Entwickler von Relic, Ubisoft, Sony und Volition warben auf Kickstarter für ein Spiel namens „The Long Dark“, das ähnlich wie Kona in die eisige Wildnis Kanadas entführen sollte. Letztlich wurde es mit bescheidenen 172.000 Euro unterstützt, aber bisher 1,3 Millionen mal verkauft – es soll sogar verfilmt werden. Kann das Survival-Abenteuer für PC, One und PS4 überzeugen?

© Hinterland Studio / Hinterland Studio

Die unvollendete Kampagne

Obwohl etwa fünf Jahre an Entwicklung in The Long Dark stecken, spricht Creative Director Raphael van Lierop in seinem Brief an Tester von einer nicht vollendeten „großen Vision“. Zwar ist der Survival-Modus mit seinen vier Schwierigkeitsgraden, der mir bereits vor zwei  Jahren in der Vorschau gut gefallen hat, komplett fertig – und alleine mit ihm kann man dutzende Stunden in freier Natur verbringen. Außerdem gibt es fünf Herausforderungen, in denen man z.B. einem alten Bären entkommen und eine Hütte finden, sich für 30 Tage vor einem Schneesturm versorgen oder einen Leuchtturm für ein Notfallsignal finden muss – alles knifflige Missionen. Aber neugierig war ich schon damals vor allem auf die Geschichte. Die jetzt spielbare Kampagne namens „Wintermute“ enthält allerdings nur zwei von fünf Episoden.

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Die Kampagne „Wintermute“ beinhaltet erst zwei von fünf geplanten Episoden. Im Englischen heißen sie „Do Not Go Gentle“ und
„Luminence Fugue“. © 4P/Screenshot

Laut van Lierop seien diese nur ein erster Schritt hin zu dem, was man erzählerisch und spielmechanisch für die Zukunft plant. Schließlich wurde sogar eine Verfilmung angekündigt und ein Kurzflim veröffentlicht. Das klingt zum Verkaufsstart nach all der Wartezeit wie eine Entschuldigung für ein Projekt, das man nicht fertig stellen konnte. Zumal das Abenteuer auf PlayStation 4 von regelmäßigen Abstürzen geplagt wurde, vor allem beim Verlassen von Gebäuden. Und die deutsche Übersetzung der Texte wurde nicht konsequent durchgezogen; irgendwann liest man plötzlich wieder einige Dialoge, Menüs etc. auf Englisch. Erst der Patch von über drei Gigabyte hat einige Probleme wie schon auf PC und One behoben.

Story in der kanadischen Wildnis

Oder steckt in den ersten beiden Episoden bereits so viel außergewöhnliche erzählerische

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Das Flugzeug von Mackenzie stürzt ab, von seiner Ex-Frau Astrid fehlt jede Spur. Lebt sie noch? Und wenn ja: Wo ist sie? In der ersten Episode gilt es Spuren zu suchen – und dabei zu überleben. © 4P/Screenshot

Substanz, dass die Story auch ohne Ende überzeugen kann? Um es kurz zu machen: Nein, da hat mir das ebenfalls in Kanada spielende Kona mit seinem Sprecher und seiner Regie besser gefallen. Aber die leicht mysteriös angehauchte Geschichte rund um eine schleichende Apokalypse wird angenehm zurückhaltend erzählt, so dass die Neugier zumindest langsam wächst. Und sie wird stimmungsvoll eingeleitet: Man startet die erste Episode „Geh nicht gelassen“ in der Rolle des Piloten Mackenzie, der von seiner jahrelang nicht gesehenen Ex-Frau Astrid in einem Kabuff im Norden Kanadas besucht wird. 

Die problematische, aber noch nicht ganz verlorene Beziehung der beiden wird überzeugend in einem filmisch Rückblick skizziert. Zudem scheint die Doktorin etwas zu verheimlichen – jedenfalls soll er sie ohne zu viel zu fragen zu einem schwer kranken Mann in einer Enklave fliegen; außerdem hat sie einen verschlossenen Koffer dabei, über dessen Inhalt sie nichts verraten will. Was hat sie vor? Wen will sie treffen?

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In der Kampagne gibt es auch eine Karte mit groben Orts- und Missionsangaben. Man wird hier allerdings nicht mit Kompass und Routenplaner zu Zielen gelotst – und das ist gut so. © 4P/Screenshot

Trotz des wütenden Schneesturms und der offenen Fragen willigt Mackenzie ein. Als die beiden losfliegen werden sie plötzlich von einem grellen Licht überrascht, alle elektronischen Geräte versagen und sie müssen notlanden. Das Abenteuer beginnt in dem Moment, als Mackenzie mit einem Splitter in der Hand aufwacht, den man per Reaktionstest entfernen kann. Er schaut sich um, Astrid ist verschwunden und es gibt nur noch Trümmer des Flugzeugs. Es ist bitterkalt, der Wind pfeift, er blutet und ist so schwach, dass er nicht klettern kann.  Jetzt beginnt in einer kleinen Schlucht die Suche nach Antworten und der Kampf ums Überleben in der Wildnis.

Obwohl die Landschaft über die Unity-Engine nur recht grob dargestellt wird, was Texturen, Animationen und Pflanzen betrifft, und es mitunter Bildratenprobleme gibt, entsteht eine angenehm unwirtliche bis trügerisch romantische Stimmung. Das liegt auch daran, dass die Landschaft mit ihren Schluchten, Hängen, Höhlen und Seen sehr markant dargestellt wird; die kanadische Topographie wirkt natürlich und abwechslungsreich. Hinzu kommen ansehnliches Schneegestöber, tolle Sonnenaufgänge sowie eine eindringliche Soundkulisse. Was man trotz sichtbarer eigener Fußspuren schmerzlich vermisst, sind allerdings die Fährten der Tiere.