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The Last of Us (Action-Adventure) – The Last of Us

Viele Hoffnungen ruhen auf The Last of Us. Zum einen, weil große Abenteuer rund um Survival und Horror in letzter Zeit so enttäuschten. Zum anderen, weil Naughty Dog im Vorfeld viel versprochen hat: Kein einfaches Spiel, sondern ein umwerfendes Erlebnis wollte man inszenieren. Man hat selbst Kritiker aufgefordert, genauer auf Story und Dramaturgie zu achten. Alles nur PR-Geklapper oder steckt mehr erzählerische Substanz in diesem Abenteuer?

© Naughty Dog / Sony

Eine gnadenlose Reise

[GUI_PLAYER(ID=106006,width=400,text=The Last of Us erscheint am 14. Juni exklusiv für PlayStation 3 und entführt in ein endzeitliches Amerika. In unserer Video-Vorschau geben wir einen Ausblick auf das Spieldesign. ,align=right)]Mist, er hat mich gehört! Ein kurzes Erkennen, dann instinktives Handeln: Knochen brechen, Blut spritzt und der Mann sackt nach drei brutalen Hieben mit der Brechstange zu Boden. Ich atme durch, aber seine Schreie waren zu laut. Schüsse hallen durch die Dunkelheit, irgendwo werden Befehle gerufen, man soll den verdammten Mistkerl und die kleine Schlampe fertig machen. Schatten rücken zwischen  Scheinwerferlicht vor. Es sind zu viele, ich renne weg und husche in Deckung. Meine Verletzung ist kritisch, aber habe ich Zeit mich zu verbinden? Lieber den Molotow-Cocktail klar machen – es ist mein letzter.

Für einen Moment ist es still, aber es ist noch lange nicht vorbei. Es ist vielleicht nie vorbei. Diese lebensgefährliche Reise durch Amerika scheint überhaupt kein Ende zu nehmen. Was soll’s? Wir haben schon weitaus Schlimmeres überstanden – das Töten ist mittlerweile ein Handwerk, das wir teilen. Ich spiele Joel, einen Mann in den 40ern. Neben mir hockt Ellie. Ein 14-jähriges Mädchen, die 9mm-Pistole sicher in den Händen, den Blick starr geradeaus. Sie wird automatisch wegrennen, schießen oder den Kerlen Steine vor den Kopf werfen, damit ich sie im Taumel kalt mache. Sie ist die einzige Hoffnung für eine seit zwanzig Jahren infizierte Menschheit. Und ich habe richtig Angst um sie.

Die Frage der Menschlichkeit

Das Verhältnis zwischen Joel und der 14-jährigen Ellie steht im Mittelpunkt der Story.
Das Verhältnis zwischen Joel und der 14-jährigen Ellie steht im Mittelpunkt der Story. © 4P/Screenshot

Es ist gar nicht so lange her, dass ich mir um eine Videospielfigur so viele Gedanken gemacht habe, dass ich echte Erleichterung verspürte, wenn ihr nichts passiert ist. Es war auch ein Mädchen, sie hieß Clementine und war ebenfalls in einem wahnsinnigen Amerika voller Zombies unterwegs. Im Gegensatz zu Elizabeth in Bioshock Infinite kann Ellie ja im Gefecht überwältigt werden und sterben. Also entsteht einerseits ein aktiver Beschützerinstinkt, aber hier geht es auch um die Frage der Menschlichkeit. Wie viel davon kann in einem Mädchen schlummern, das nichts als Quarantäne kennt, das nie Wälder gesehen hat und wie selbstverständlich mit dem Stilett zusticht? Als man mit ihr zum ersten Mal die Zone verlässt, sagt sie: „Auch du Scheiße, ich bin ja tatsächlich draußen!“ Wie viel Kind, wie viel Neugier und Lebenslust steckt überhaupt in dieser Ellie? Oder ist sie ein abgestumpftes Monster? Wie weit würde ich gehen, um sie zu beschützen? Was bin ich überhaupt für ein Mann, der wie ein grimmiger Wolf blicken und wie eine Bestie zuschlagen kann?

Naughty Dog gelingt es zwar nicht, mir die Freiheit der Handlung zu geben, mich wie in Heavy Rain oder The Walking Dead in Extremsituationen entscheiden zu lassen, wie ich auf Personen und Situationen reagiere – soweit gehen sie leider nicht, obwohl gerade dieses Experimentieren das Spielerlebnis nochmal intensivieren würde. Aber es gelingt ihnen, ohne großes Pathos oder moralischen Zeigefinger über subtile Gesten und kleine Dialoge wichtige Fragen aufzuwerfen. Sie stellen die Beziehung zwischen Joel und Ellie so glaubwürdig dar, dass so mancher Vater (oder so manche Tochter) einem vertrauten Konflikt lauscht, voller Trotz und Eskalation. Ab wann darf ein Kind dieses oder jenes? Obwohl nicht immer ausführlich diskutiert wird, hinterlassen die kleinen Dispute große, manchmal bestürzende Wirkung. Naughty geht dabei an emotionale Schmerzgrenzen: Viel intensiver als die brachiale äußere Gewalt einer Enthauptung wirkt an einer Stelle die innere Kälte zwischen Joel und Ellie, die einen schlucken lässt. Unter der Oberfläche geht es immer wieder um Angst und Verlust, um die Vereinsamung des Menschen. Man stellt sich ständig die Frage, wie man selbst handeln würde und reflektiert automatisch über diesen Zustand der Verrohung. Diese Wirkung hinterlassen nur ganz wenige Spiele. Zumal sie von einer Musik verstärkt wird, die sich angenehm dezent zurückhält, aber in entscheidenden Momenten für melancholische, tragische oder aufmunternde Stimmung sorgt. Ich spreche in meinen Tests selten über Soundtracks, das kann Ben viel besser, aber dieser hier ist ein stiller Genuss.