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Styx: Master of Shadows (Action-Adventure) – Kleiner Goblin, großer Schleicher

Kennt ihr das Rollenspiel „Of Orcs and Men“ von Cyanide Studio? Nein? Egal, müsst ihr auch nicht. Mit „Styx: Master of Shadows“ inszenieren die Franzosen diesmal klassische Stealth-Action, die in derselben Fantasywelt spielt. Ihr schlüpft in die giftgrüne Haut eines alten Bekannten – natürlich die des namengebenden Attentäters Styx. Und der miese Goblin plant den ganz großen Coup. Mehr dazu im Test.

© Cyanide Studio / Focus Home Interactive

Gute alte Stealth-Action

Aber auch im grundsätzlichen Spieldesign macht das Cyanide Studio einiges richtig und besser als etwa Thief. Denn nicht der Komfort und das Tempo stehen im Vordergrund, sondern die Kleinigkeiten, die zum langsamen Erkunden der überraschend großen Areale animieren. Man fühlt sich nicht gegängelt, sondern angenehm frei. Es werden zwar Zielorte mit Meterangaben angezeigt, was man abschalten kann, aber es gibt keine komplette 3D-Karte, so dass trotz Kompass die Orientierung im Raum gefordert ist. So kann man ohne Vorwissen alleine für den ersten Abschnitt bis zu zwei Stunden brauchen, wenn man wirklich alles absucht; kennt man die Route, ist man in weniger als einer halben Stunden durch. Wer die besonderen Artefakte finden will, muss sie anhand eines gezeichneten Hinweises aufspüren – auch nicht sehr knifflig, aber wesentlich subtiler und spaßiger als ein schnöder Router mit Markierung.

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Wohin mit der Leiche? Ab in die Kiste! (PS4) © 4P/Screenshot

Es gibt natürliche viele klassische Elemente der Stealth-Action: Man sollte Leichen möglichst in Kisten verbergen oder in finsteren Ecken verschwinden lassen, sonst wird Alarm geschlagen. Man kann wie ein Schimpanse – ich liebe diese Animation – an Wänden zu Fackeln hinauf klettern und sie mit seinen großen Händen löschen oder sie aus der Distanz mit Sand bewerfen, um für Dunkelheit zu sorgen.

Im Schatten wird man zu etwas mehr Aufmerksamkeit gezwungen als etwa Garrett in seinem letzten Abenteuer, der fast Immunität im Dunkeln genießen konnte. Zwar leuchtet Styx‘ Tattoo golden auf, wenn er offiziell verborgen ist (die logische Folgefrage, wieso er sich damit nicht verrät, einfach an Sam Fisher weiterleiten), aber das bedeutet hier eben keine absolute Sicherheit – und das erhöht die Spannung.

Die KI hört gut

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Wankelmütige KI: Manchmal reagieren die Wachen richtig gut, vor allem auf Geräusche, dann wirken sie wieder dumm – vor allem bei Sichtkontakt. (PS4) © 4P/Screenshot

Die Reaktionen der Wachen auf Geräusche sind nämlich sehr gelungen. Nicht nur das Öffnen von Türen oder Umstoßen von (verflixt verteilten!) Besen oder Eimern sorgt für Aufmerksamkeit bei ihnen, die in drei Stufen von Gelb über Orange bis Rot aka Alarm reicht. Wenn man z.B. im vermeintlich sicheren Schatten kauernd einen Heil- oder Harztrank in sich hinein kippt oder mal eben eine schnelle Vorwärtsrolle macht, wird sich die im Hellen positionierte Wache umdrehen und einen angreifen. Mal eben ratzfatz durchs Level huschen? Eine schlechte Idee…

Später kommen übrigens blinde Riesenschaben hinzu, die ein noch feineres Gehör haben; da hilft nur gaaaaanz langsames Schleichen – sie

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Die Architektur ist nicht nur Zierde: Den Kronleuchter kann man stürzen lassen…(PS4) © 4P/Screenshot

beißen nach Geräusch und sind immun gegen Dolche. Schade ist, dass die Gegnertypen ansonsten wie aus einem Klonguss wirken und zu selten auch in den Verhaltensweisen variieren. Immerhin gibt es neben den Schwertträgern auch Armbrustschützen, dazu Diener oder Bibliothekare. Leider folgen sie meist statischen Routen oder verrichten stoisch dieselben Tätigkeiten, so dass man sie recht schnell ausrechnen kann.

Es gibt aber weitere Kleinigkeiten, die gut integriert sind: Das Klettern ist z.B. anspruchsvoller als in Assassin’s Creed. Okay, das ist vielleicht keine große Leistung, aber hier muss man zumindest mit Timing abspringen – auch wenn Styx die gefühlte Reichweite eines Flummis hat, kann er abstürzen und sterben. Das Kraxeln lohnt sich, denn die auch in der Vertikale angenehm offenen Levels bieten neben Kriechtunneln und Geheimräumen auch einige Möglichkeiten der Interaktion von oben.

Styx kann z.B. Kronleuchter sabotieren, um viele Wachen auf einmal abzulenken oder eben auf einmal auszuschalten.

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Direkte Zweikämpfe sollte man vermeiden. Aber wenn man zur richtigen Zeit pariert, darf man im Folgeschlag meist direkt töten… © 4P/Screenshot

Man darf nicht vergessen, dass der Kleine vom Wesen her ein Killer ist, so dass auch manche Nebenaufträge nicht nur die Suche nach Büchern oder Kontaktpersonen, sondern auch den einen oder anderen Mord beinhalten. Und auch das macht morbiden Spaßen, denn Styx hat einige martialische Manöver auf dem Kasten, die ihn trotz seiner geringen Größe in einen tödlichen Jäger verwandeln.

Sehr schön: Die Statistik wertet offizielle Auftragsmorde als Unfall – genauso wie den Kronleuchter. Styx kann übrigens auch unter Tischen und Bänken her kriechen und das Essen oder Wasser vergiften, so dass der Apfel der nächsten Patrouille zum Verhängnis wird – sie bricht dann röchelnd zusammen. Auch wenn Mimik und Gestik schwach, die Lippen nicht synchron und die Grafik sporadisch leichte Flackeranfälle sowie künstliche Glanzrahmen (ja, es ist Unreal) zeigt, sind die Animationen solide und die Kulisse ist sogar recht ansehnlich. Es gibt einige Schauplätze und Szenen, die zum näheren Hinsehen einladen. Allerdings gleichen sich die mittelalterlichen Gemäuer auch, zumal man meist im düsteren Inneren unterwegs ist, und von der architektonischen Pracht eines Dishonored ist man weit entfernt.