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Watch Dogs 2 (Action) – Hippies, Hacker & Hipster in San Francisco

Vor etwa zweieinhalb Jahren hat Ubisoft versucht, mit Watch Dogs eine neue Marke zu etablieren, die auf Hacker-Spannung und eine offene Welt setzt. Doch das ambitionierte Projekt blieb bei uns im Test hinter den Erwartungen zurück. In der Fortsetzung kommen ein neuer Schauplatz, eine frische Hacker-Crew und viele Ergänzungen zum Einsatz. Ob das hilft, um Watch Dogs 2 in höhere Wertungsregionen zu bringen, verraten wir im Test.

© Ubisoft Montréal / Ubisoft

Vergangenheit ist Zukunft

Aiden Pearce, der Hauptdarsteller aus Watch Dogs, ist Vergangenheit. Chicago, der Schauplatz der ersten Hacker-Action in offener Welt, ist Vergangenheit. Doch Ubisoft Montreal als hauptverantwortliches Studio gibt nicht alles auf, was der Vorgänger etabliert hat. Als Schauplatz hat man sich zwar für San Francisco, die Regenbogen-Metropole im kalifornischen Süden entschieden, doch mit dem Überwachungssystem ctOS, das in Watch Dogs 2 in seiner Version 2.0 eine wichtige Rolle spielen wird, dem örtlichen Zweig der Hackergruppe DedSec sowie Ray „T-Bone“ Kenney als wiederkehrende Figur hat man zahlreiche Verknüpfungspunkte geschaffen, die allerdings nicht überstrapaziert werden, so dass die Action hier ihren eigenen Charakter entwickeln kann.

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Die Story um DedSecs Kampf gegen das Establissement bedient sich zwar auch einiger Klischees und ist bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar, dennoch werden die einzelnen Charaktere gut dargestellt. © 4P/Screenshot

Ubisoft hat sowohl beim Hollywood-Drehbuch als auch bei der Besetzung ein glückliches Händchen bewiesen. Zwar ist seit Elliot Aldersons Eskapaden in Mr. Robot das zentrale Thema eines Riesenkonzerns, der mit Hilfe von Informationstechnologie, invasiver Überwachung und sozialer Medien die Bevölkerung unter Kontrolle halten möchte, nicht mehr neu. Doch die Art und Weise, wie man hier dieses Fundament als Vehikel für die Geschichte des Afro-Amerikaners  Marcus Halloway sowie den anderen schillernden Figuren der DedSec-Crew nutzt, ist gelungen. Klar ist zwar, dass die Story bis zu einem gewissen Maß vorhersehbar ist, was auch am deutlich definierten Antagonisten liegt. Doch man baut auch die eine oder andere Überraschung ein und kreiert Figuren, die im Falle von DedSec bei mir auch in der ordentlichen deutschen Lokalisierung allesamt einen sympathischen Eindruck hinterließen.

Fünf Freunde gegen alle


Da haben wir z.B. Sitara, die extrovertierte Streetart-Künstlerin, die DedSec mit ihren 8-Bit-Werken, Graffitis und Logos quasi das öffentliche Gesicht gibt und gleichzeitig die Stimme der Vernunft darstellt. Der Autist Josh wiederum ist das insgeheime Coder-Genie der Gruppe, während Wrench neben seinen Hacker-Qualitäten quasi für jegliche Formen von physischer Gewalt verantwortlich ist und eine brachiale Maske trägt, die mit digitalen Emojis als Augen ausgestattet ist. Letzter im Quartett, das nach dem Tutorial mit Marcus zu einem Quintett wird, ist Horatio: Farbig, gebildet, scheinbar ein Casanova und leider die schwächste Figur, die neben den anderen Charakterköpfen kaum zur Geltung kommt. Plus der eingangs erwähnte Ray Kenney als beinahe väterliche Anlaufstelle im Kampf gegen ctOS und die Blume Corporation. Dass sich Ubi dabei hin und wieder aus der Klischeekiste bedient, stört mich in diesem Fall wenig. Die Interaktion zwischen den Figuren zeichnet ein interessantes Bild und hilft, die Charaktere zu vertiefen –

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Es gibt in San Francisco und Umgebung immer wieder beeindruckende Panoramen sowie überraschende Reaktionen der Zivilbevölkerung. © 4P/Screenshot

mit der erwähnten Ausnahme Horatio. Sehr schön, dass sich die Figuren dabei nicht ernst nehmen und Ubisoft die Gelegenheit beim Schopf packt, zahlreiche Anspielungen auf Pop- und Nerd-Kultur zu integrieren. So entfernt man sich sehr effektiv von dem eher düsteren Grundton, der den Vorgänger mit seiner Rachegeschichte prägte.  

Bevor es nach etwa 20 bis 25 Stunden (für Komplettierer und Achievement-/Trophäen-Jäger gut und gerne zehn Stunden mehr) zu einem explosiven sowie gelungenen Finale kommt, legt sich DedSec nicht nur mit den fiktiven Ebenbildern von Facebook (Invite!) und Google (Nudle, funktioniert besonders schön bei Nudle Maps) an, sondern bekommt es auch mit Rüstungsfirmen, den Gangs in San Francisco, der chinesischen Mafia und sogar dem FBI zu tun. 15 Hauptmissionen warten, die wiederum in einzelne Etappen unterteilt sind. Diese Stückelung dient nicht nur als Kontrollpunkt, sondern gibt dem Spieler auch die Gelegenheit, sich nach einem Teilstück mit einer der über 20 Nebenmissionen zu beschäftigen oder sich den diversen anderen Aufgaben wie Taxifahrten à la Uber oder dem Abklappern von Touristen-Attraktionen samt obligatorischem Selfie zu widmen – ganz zu schweigen vom Shoppen und Ausrüsten neuer Klamotten, die allerdings nur kosmetisch Wirkung zeigen. Nicht dazu gehört übrigens das Erklimmen von Türmen oder Freischalten neuer Gebiete – sehr gut, Ubisoft! San Fransisco sowie die umliegenden Gebiete Oakland, Silicon Valley und Marin sind von Anfang an offen, frei begeh- oder befahrbar und nicht nur mit Sammelkram, sondern auch mit bekannten Sehenswürdigkeiten sowie versteckten Aufgaben gefüllt. Sehr schön: Viele davon wirken nicht nur aufgezwungen oder als ob ein Frachtflugzeug über der Stadt Minimissionen und Sammelobjekte wie Flugblätter abgeworfen hätte. Sie sind harmonischer in den Spielverlauf bzw. die Mechanik eingebunden oder passen einfach in die „Nerd“-Szene wie etwa die Drohnenrennen. Auch hier hat Ubisoft aus der Vergangenheit und der mechanischen „Gleichschaltung“ aller Serien von Assassin’s Creed bis Far Cry gelernt.