So stelle ich mir einen Karibik-Urlaub vor: Über mir neigen sich Palmwedel sachte im Wind, vor mir glitzert das azurblaue Wasser und dahinter bietet sich ein wunderhübsches Panorama. Aus dem dicht überwucherten Dschungel ragen ein paar zerklüftete Felsen hervor, auf welchen ich selbst durch das Zielfernrohr noch brüchige Feinheiten erkennen kann. Auch das Hamburger Wetter spielt mit und sorgt für tropische Temperaturen in unserem Konsolenbüro. Auf visueller Ebene haben sich die Entwickler von City Interactive sich mächtig ins Zeug gelegt – zumindest auf den ersten Blick.
Eine derart dichte Vegetation gibt es nur in wenigen Spielen zu sehen. Doch kaum schleiche ich ein Stückchen durchs Unterholz, bekommt die heile Welt Risse: An einem großen Hang klabt eine matschige N64-Textur, mein grobpixeliger Schatten flimmert umher, Grasbüschel gleiten durch den Boden und direkt vor meinen Augen wächst urplötzlich ein Busch aus dem Nichts.
Die auf den ersten Blick idyllische Tropenwelt ist nicht nur visuell aus den Fugen geraten: Der aus Kolumbien stammende General Manuel Vasquez hat sich im Inselstaat Isla Trueno an die Macht geputscht, um die dortigen Drogengeschäfte unter die Fittiche seines Kartells zu bekommen. Zeit also für einen einsamen Helden, welcher der Bananenrepublik mit Hilfe seines Zielfernrohrs die Freiheit zurückbringt. Gunnery Sergeant Tyler Wells hat schon bei der Operation Enduring Freedom reihenweise Taliban aus der Ferne ausgeknipst und soll nun in den Tropen für Recht und Ordnung sorgen.
Präziser als jeder Videobeweis
Seine Spezialfähigkeit ist die Bullet Time: Ein Knopfdruck genügt und schon laufen die verdutzten Widersacher in stark verlangsamter Zeitlupe vorm Fadenkreuz herum. Wo der Gunnery Sergeant seine übersinnliche Fähigkeit gelernt hat, wird nicht erklärt. Gerade in einem Spiel, in welchem das realistische Ballistik-System beworben wird, wirkt das merkwürdig. Nützlich ist das Extra aber allemal:
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Im Zielfernrohr werden Wind und Herzfrequenz angezeigt. Dank roter Einschlags-Markierung und Zeitlupe trifft man meist todsicher. (PC) |
Lege ich an, muss ich die Entfernung sowie den Wind einkalkulieren – allerdings nur auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad, in welchem meine Gegner zusätzlich aggressiver attackieren und mich deutlich schneller niederstrecken. Auf den übrigen Schwierigkeitsstufen zeigt ein kleiner roter Punkt an, wo genau mein Projektil einschlägt, wodurch die äußeren Faktoren praktisch keine Rolle mehr spielen.
Glücklicherweise hält sich die ausgelutschte Standard-Story dezent im Hintergrund. Im Mittelpunkt steht das Auskundschaften, Heranschleichen und natürlich spritzende Blutfontainen nach dem Anlegen auf das Opfer. Meist gilt es, sich durch die feindlichen Reihen zu einer Zielperson zu schleichen, Geiseln vor ihrer Exekution zu retten oder Geschütze mit einer Sprengladung auszuschalten. Obwohl die Missionen recht linear aufgebaut sind und ich stets einige auf der Minimap angezeigte Ziele eliminieren soll, lässt mir das Spiel erfreulich viele Freiheiten, auf welche Weise ich mich an meine Opfer heranpirsche. Als ich z.B. ein paar Geschütze mittels C4 ausschalten soll, schaue ich zunächst einmal, welches Exemplar in meiner Nähe steht. Während der dramatische Synthie-Soundtrack im 80er-Jahre-Stil sich zum zehnten mal wiederholt, schlage ich mich neben der Straße in die Büsche. Geduckt schleiche ich durchs Dickicht. Die Böschung auf der anderen Seite des Weges wäre sinnvoller gewesen, denn prompt tappe ich in die Falle.