[GUI_PLAYER(ID=95707,width=400,text=Zu Beginn weckt die Kampagen mit Leon noch die Vorfreude. Immerhin hat Capcom hier Survival-Horror alter Schule versprochen.,align=right)]Hallo, Herr Kobayashi! Erinnern sie sich? Vermutlich nicht, denn ich war nur einer von vielen Journalisten in einem dunklen Raum, als Leon S. Kennedy im April auf der Captivate seine ersten Schritte machte. Er war zwar in einer amerikanischen Universität unterwegs, aber nicht nur die Holzvertäfelungen und Kronleuchter erinnerten an die mondäne Villa von Umbrella. Neben dem altmodischen Interieur sorgte das ruhige Erkunden einer schaurigen Kulisse für Neugier. Bis zu den Zombies in der Tiefgarage, die geifernd aus dem Halbdunkel schlurfen, macht dieses Spiel auch heute einiges richtig – vor allem in der ersten Stunde. Es ist mir vollkommen schleierhaft, warum man dieser Dramaturgie danach nicht konsequent folgt.
Wie all die Kollegen habe ich mir schon damals erfreut Notizen über diesen vielversprechenden Einstieg gemacht, Herr Kobayashi. Denn was sagte ihr Kollege Masachika Kawata noch im März zu aller Bestürzung:
„Ich denke, dass die Serie [Resident Evil] in diese actionorientierte Richtung gehen muss – vor allem auf dem nordamerikanischen Markt. (…) Wenn wir uns die Marktdaten von ‚Survival Horror‘-Spielen anschauen, dann ist der Markt sehr klein im Vergleich zu den Verkaufszahlen, die Call of Duty und die anderen Actionspiele erreichen.“
Was erzählten sie der versammelten Skepsis dann im April? Sie wollten als Executive Producer dafür sorgen, dass Resident Evil 6 (RE6) an die „lauernden Schrecken“ und die „Schockmomente“ anknüpft, die viele Fans mit den Anfängen der Serie verbinden. Man sollte wieder diese „Ungewissheit verspüren“, wenn man um eine Ecke geht. Ihr Team wollte nicht nur „etwas bisher nie Erlebtes“ inszenieren, sondern den „Survival-Horror auf eine neue Ebene“ bringen. Kein Problem: Klappern gehört natürlich zum Handwerk. Deshalb habe ich in der Vorschau gesagt, dass wir Sie und ihr Team an diesem Versprechen messen werden. Und wie soll ich sagen? Sie haben es gebrochen. Das Spiel ist eine große Enttäuschung.
…werden nicht gehalten!

Das superlative Gelaber hinsichtlich des avisierten Spieldesigns, das Horror wie in alten Zeiten versprach, ist im Nachhinein von knapp 30 Stunden eine einzige Unverschämtheit. Dieses RE6 ist tatsächlich der beschämende Kniefall vor Call of Duty. Sorry, wenn ich die Wertungstendenz jetzt vielleicht ein wenig gespoilert habe (mit dem Award wird es natürlich verflixt schwer). Die Frage in diesem Test lautet also: Warum enttäuscht dieses Spiel so? Immerhin blitzen in einigen Momenten ja ein paar Stärken auf, die Zwischensequenzen sind wirklich sehr ansehnlich, manchmal fühlt man sich sogar etwas bedrängt und bedroht, außerdem sehen die wenigen echten Zombies teilweise klasse aus.
Der explosive Prolog würde zwar Michael Bay stolz machen, aber schon hier deutet sich in einem überzogenen Höhepunktverschleiß an, was Stunde um Stunde zur traurigen Gewissheit wird: Dieses Resident Evil wurde so auf Massenunterhaltung getrimmt, dass man die Unterschiede zu 08/15-Shootern irgendwann kaum noch erkennt – man fühlt sich viel zu früh an die schrecklichen Kinofilme erinnert. Das ist also kein Zurück-zu-den-Wurzeln mit einer Besinnung auf eigene Werte. Wohlgemerkt: Ich rede nicht vom Urvater Resident Evil anno 1996, sondern von Resident Evil 4 (RE4) anno 2005 – selbst von dieser (wichtigen! Wertung: 93%) Modernisierung hat man sich hinsichtlich Tempo, Dramaturgie und Design so entfernt, dass man von unterschiedlichen Spielen reden muss. Es gibt einige ekelhafte Szenen: Da wird zerfleischt, zerschreddert und zerfetzt. Aber es wird zu wenig erschrocken, zusammen gezuckt und geängstigt.
Das hat nichts mit falscher Nostalgie zu tun: Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. Aber man sollte als Entwickler Respekt vor etablierten Werten haben und gleichzeitig den Mut zum Fortschritt beweisen – das beste Beispiel einer Modernisierung war RE4. Ich habe dieses Spiel geliebt! Aber ich könnte keine Szene in diesem sechsten Teil nennen, die dessen Terror verströmt. Erinnert sich jemand an die Stelle, an der man von allen Seiten belagert wird? Mehrere Dutzend Fanatiker wollten Leon und Spanier Luis lynchen. Da war dieses Haus. Man stürmte zusammen hinein. Man verbarrikadierte Türen und Fenster. Man saß in der Falle. Dann barsten die ersten Scheiben, brachen die ersten Türen. Rücken an Rücken versuchte man, den blutrünstigen Mob aufzuhalten. Das erinnerte an Butch Cassidy und Sundance Kid, an dieses Wir-gegen-alle-Gefühl. Wo sind diese Momente hier?