Im Jahr 2005 erfuhr Resident Evil die dringend notwendige Generalüberholung: Unter der Leitung des Serien-Erfinders Shinji Mikami wurde beschlossen, sich von der heute als Panzer- Steuerung bekannten Bewegung und den starren Umschalt-Hintergründen zu verabschieden und für den vierten Ableger auf einen beweglicheren Hauptcharakter, mehr Action und eine flüssige 3D-Umgebungsdarstellung zu setzen. Das Experiment ging voll auf, mit einem Metacritic-Wert von sagenhaften 96 % bekam Resident Evil 4 für den Gamecube die beste Bewertung, die ein Spiel der Serie jemals eingefahren hat. Nach den stark überarbeiteten Remakes des zweiten und dritten Teils, bekommt nun auch das Königskind mit Hilfe der RE-Engine ein neues Kleid. Die Frage drängt sich auf: Kann man etwas Geniales noch besser machen? Unser spoilerfreier Test zu Resident Evil 4 gibt Antwort.
Die Ausgangslage bleibt natürlich gleich: Rund sechs Jahre sind vergangen, seitdem Leon S. Kennedy sich in Racoon City mit dem fauligen Vermächtnis des Umbrella-Konzerns herumschlagen musste. Nun droht neues Ungemach: Ashley Williams, die Tochter des US-Präsidenten, wurde auf einem Ausflug nach Europa entführt und in ein spanisches Dorf verschleppt. Erneut muss sich der kampfgestählte Agent also die Chevignon-Lederjacke überstreifen und dafür sorgen, dass Baby Eagle – so der Codename des entführten Nachwuchses – wieder zu Potus-Papa nach Hause kommt. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, was Leon kurz nach seiner Ankunft in der Pampa erfahren muss. Denn die Dorfbewohner entpuppen sich nicht nur als extrem aggressive und religiöse Fanatiker, sondern drehen aufgrund einer Infektion mit dem Plaga-Parasiten komplett durch: Bewaffnet mit Äxten, Mistgabeln, Kettensägen und Schaufeln machen die sogenannten “Ganados gnadenlos Jagd auf den US-Agenten, der in dem kleinen Dorf um sein Leben rennt, nachdem die zwei Dorfpolizisten, die ihn begleitet haben, bereits auf dem Scheiterhaufen gelandet sind. Doch Leon weiß, sich zu wehren, um die tollwütige Meute in Schach zu halten.
Zu Beginn des Spiels stehen dem US-Agenten lediglich eine mickrige Pistole und ein Messer zur Verfügung, um die taumelnden Gegner ins Stolpern zu bringen – das eröffnet ihm nach der Einblendung des entsprechenden Kommandos eine Chance die rotäugigen Scheusale per munitionssparendem Roundhouse-Kick empfindlich zu tangieren. Der Begriff Survival Horror, der von der Resident Evil-Serie geprägt wurde und den Grundstein für eines der immer noch beliebtesten Spiele-Genres darstellt, kommt nicht von ungefähr. Denn wie von der Call of Duty-Tarantel gestochen herumzuballern, führt in Resident Evil 4 nur bedingt ans Ziel. Viel besser läuft es für Leon, wenn sorgfältig gezielt wird und dabei so viele Kugeln einspart, wie es nur möglich ist – die Dorfbewohner zu Beginn des Spiels sind eben nur der Auftakt für die abstrusen Scheußlichkeiten, die dem Spieler in den rund 20 Stunden des ersten Durchlaufs begegnen – und einige von ihnen essen neun Millimeter zum Frühstück.
Das Schießbuden-Prinzip des Originals bleibt auch in der Neuauflage weitgehend erhalten: Der Spieler sieht Leon über die Schulter und legt auf Knopfdruck die ausgewählte Waffe an, die nun endlich über ein Schnellmenü per Steuerkreuz direkt ausgerüstet werden kann. Das Zielen wirkt anfangs für alle glücklichen Spieler, die mit Resident Evil 4 bisher keinen Kontakt hatten, behäbig und etwas ungenau, genau wie das Lauftempo, das einen seltsam langsamen und zähen Eindruck macht. Daran kann und muss man sich gewöhnen, denn: Das soll so! Auch die Bewegungsmuster der Gegner sind exakt und fein an die körperlichen Unzulänglichkeiten der Spielfigur abgestimmt und sorgen damit für ein perfekt abgeschmecktes Maß im Panik-Eintopf. So ist die erste Action-Szene im Dorf nur scheinbar eine wilde Hatz, die dem Spieler die Schweißperlen auf die Stirn treiben soll. Kenner des Szenarios wissen, dass man – den richtigen Laufweg vorausgesetzt – ganz locker im Kreis vor den Wüterichen davonjoggen kann und nicht eine einzige Kugel abfeuern muss, um der Lage nach quälend langen fünf Minuten Herr zu werden.
Dann ertönt die Glocke des Kirchturms und wie hypnotisiert verziehen sich die unfreundlichen Dorfbewohner in das einstige Haus Gottes. In jeder Spielumgebung befinden sich wertvolle Ressourcen und oft gut versteckte Schätze, da macht das genaue Absuchen der verfallenen Hütten und düsteren Höhlensysteme unter dem kleinen Örtchen gleich noch mehr Spaß. Alle Szenarien, die der Spieler im Lauf der Geschichte besucht, strotzen vor Geheimnissen, optionalen Rätseln und neuerdings auch ein paar Nebenaufgaben, die es nötig machen, bereits bereiste Areale erneut zu besuchen. Aber Vorsicht, trotz einiger sehr angenehmer Quality-of-Life-Verbesserungen, ist Leons für einen hohen Geldaufwand erweiterbarer Aktenkoffer irgendwann voll – und es schmerzt mehr als eine Mistgabel im Bauch, das Päckchen Shotgun-Ammo nicht mehr mitnehmen zu können oder einen anderen Gegenstand aus dem Inventar dafür zu opfern, den nötigen Platz im Samsonite zu schaffen.