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LittleBigPlanet (Logik & Kreativität) – LittleBigPlanet

Es gibt keine Märchen in der Spielebranche. Es gibt keine tapferen Schneiderlein und Hans im Glück bräuchte eine Lizenz, eine Sims-Schwester oder einen Kawashima-Onkel, um erfolgreich zu sein. Kann man heutzutage aus skurrilen Ideen noch ein außergewöhnliches Spiel zaubern, ohne es am Altar des Mainstreams zu opfern oder auf irgendeine Zielgruppe zu kastrieren? Kann man mit skurrilem Artdesign, etwas Physik, Humor und Stoffpüppchen begeistern?

© Media Molecule / Sony

Putzig animierte Sackgesichter

Schaffe, schaffe, Level baue: Der Editor lässt sich kinderleicht bedienen und bietet Möglichkeiten vom klassischen Hüpf- bis hin zum Renn- oder Rätselspiel.

LittleBigPlanet ist wie ein Magnet. Dieses Spiel zieht magisch an, sobald man die kleinen Sackboys und Sackgirls einmal in Bewegung gesehen hat. Diese mit viel Faden und Liebe genähten bzw. modellierten und dann texturierten Stoffpuppen sind so unwiderstehlich tapsig animiert und aufgrund ihrer auf Knopfdruck darstellbaren Emotionen so sympathisch, dass man gerade in den ersten Minuten mit ihnen experimentieren muss: Was können sie alles? Was darf man mit ihnen anstellen? Was haben sie akrobatisch drauf? Wozu kann man sie sonst noch einsetzen?

Sie beherrschen das Lächeln ebenso wie das Böse gucken und Schmollen, sie können mit beiden Armen in alle Richtungen zeigen, langsam voran gehen, rennen, schlagen, sich und Objekte ziehen, bewegliche Geräte anschubsen und auf Knopfdruck entweder nur hopsen oder zu einem großen Sprung ansetzen. Sie können sich sogar Jetpacks greifen und mit ihnen durch die Levels düsen – allerdings an der Leine. Auch der bewegungssensitive Controller kommt zum Pseudo-Einsatz, wenn man etwa das Jetpack wegschütteln muss.

Das Figuren- und Kreaturen-Design erinnert an charmante Kinderzeichnungen, die Kulisse punktet mit gestochen scharfen Texturen. Fotorealismus trifft auf Patchwork-Fantasie!

Leider haben die Sackboys ansonsten wenig sportive Fähigkeiten: Es gibt keinen klassischen Doppel- oder gar Wandsprünge, keine Salti oder andere halsbrecherische Manöver, die andere Jump’n Run-Helden beherrschen. Und so sehr man sich über Mimik und Gestik freut: All das hat leider keine spielerische Auswirkung. Das ist schade, denn gerade ein böser Blick mit erschreckender Wirkung auf ängstlichere Gegner oder ein passender Fingerzeig als Rätselelement hätte dem Spiel mehr Tiefe gegeben.

Ein waschechtes Jump’n Run

Hat es denn keine Spieltiefe? Oh doch. Es ist innerhalb des Hüpfgenres kein Meilenstein, was Fähigkeiten und Artistik innerhalb des Spiels angeht – also weder ein Jak&Daxter noch ein Mario Galaxy. Aber LittleBigPlanet ist kein Blender mit zuckersüßer Kulisse und Baukasten, sondern ein waschechtes Jump’n Run. Das heißt, dass Einsteiger spätestens ab der zweiten Welt ganz schön ins Schwitzen geraten, denn wer die Levels wirklich zu hundert Prozent meistern und alle Objekte sowie Punkteblasen abstauben will, muss nicht nur die Augen offen halten, sondern auch über eine gehörige Portion Geschicklichkeit verfügen – tödliche Abgründe müssen übersprungen, wankende Plattformen überwunden, rettende Lianen mehrfach hintereinander ersprungen und böse Fallen schnell unterlaufen werden.

Alle gegen einen? Viele Augen sehen mehr? Was wollte uns der Designer damit sagen? LittleBigPlanet ist angenehm skurril und verrückt.

Der Einfallsreichtum der Entwickler ist neben dem Retro-Charme, der durch den klassischen Von-links-nach-rechts-Aufbau früherer Jump’n Runs entsteht, der große Trumpf. Zwar kann man nicht wirklich von einer Hintergrundgeschichte sprechen, aber dafür gibt es viele witzige Aufträge, in denen man z.B. vermisste Kinder finden und zur Mama zerren muss. Außerdem punktet das Spiel mit seiner Interaktivität: Denn all die Sticker, die man in zig Varianten vom Wappen über den Spruch bis hin zu Tieren, Typen und Accessoires findet, sind nicht nur reiner Zierrat, sondern schalten geschickt platziert wiederum neue Punkteblasen, Bereiche oder Objekte frei. Wer einem müden Pferd den Schwanz antackert, wird es munter machen. Wer einem Pappstern den goldgelben Sticker verpasst, wird sich über die Belohnung freuen. Gerade diese Einbindung der Kulisse in das Spieldesign sorgt dafür, dass man immer die Augen nach möglichen Stickerplätzen offen hält.

Man entdeckt zudem immer wieder neue Facetten des Leveldesigns, das in grünen Gärten beginnt und euch um die ganze Welt führt – es gibt afrikanische Regionen mit viel Feuer und lustigen Erdmännchen, die z.B. in einer Kettenreaktion dutzendfach im Boden verschwinden, wenn man sich ihnen nähert. Später geht es in Südamerika etwas gruseliger zur Sache, wenn das Artdesign Richtung Halloween tendiert, während es in Japan inklusiver bizarrer Masken sowie Geishas und später Nordamerika eher städtischer anmutet, bevor es in Russland vor dem Finale noch mal mit Schnee und Eis zu gefährlichen Rutschpartien kommt.

Es kommt immer wieder auf das richtige Timing und Schnelligkeit an, wenn man unbeschadet das Levelende und dabei noch eine hohe Position in der internationalen, online einsehbaren Rangliste erreichen will. Wer es nicht schafft, braucht nicht verzagen, denn das Speichersystem bietet überall komfortable Rücksetzpunkte, so dass man nicht den ganzen Level noch mal von vorne spielen muss. Natürlich gibt es auch einige leichte Abschnitte und vor allem die ersten Wettrennen wirken zu einfach. Aber nur echte Spieler werden auch all die Herausforderungen mit Bravour meistern, die zusätzlich auf der Weltkarte auftauchen, wenn man die betreffenden Schlüssel hat.