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Life Is Strange 2 (Adventure) – Familie ist alles

Nach über einem Jahr ist Life is Strange 2 endlich komplett. Fünf Episoden lang durfte ich mich mit den Diaz-Brüdern von Washington nach Mexiko schlagen. Welche Höhen und Tiefen ich dabei erlebt habe, lest ihr im spoilerfreien Test.

© Dontnod Entertainment / Square Enix

Ein großer und ein kleiner Wolf


Während Life is Strange das Thema Freundschaft in den Vordergrund stellte, geht es in Life is Strange 2 um Familie und Erziehung. Dieser rote Faden zieht sich durch alle Episoden und stellt dabei eine Herausforderung dar, die hart auf den Schultern von Sean Diaz lastet. Nach einem tragischen Unfall in der ersten Episode sieht sich der Schüler gezwungen mit seinem kleinen Bruder Daniel unterzutauchen und quer durch Amerika vor der Polizei zu fliehen.
Entwickler Dontnod gelingt es, diese für einen Teenager so schwierige Situation über alle Episoden hinweg sehr lebendig zu inszenieren: Jeder Abschnitt ihrer Reise wirkt beschwerlich, die Füße schmerzen, der Kontakt zu Freunden und Familie ist völlig abgeschnitten und manchmal müssen die beiden sogar mit rassistischen Anfeindungen leben. Und als wäre es für Sean nicht schwer genug andauernd für eine Unterkunft und Lebensmittel zu sorgen, muss er sich auch noch um die Erziehung seines enano (Span. Knirps) kümmern.

Denn viele der getroffenen Entscheidungen haben direkten Einfluss auf Daniels Charakterentwicklung. 


Wie Max in der ersten Staffel, entdeckt auch Daniel irgendwann seine übernatürlichen Kräfte, die im Spielverlauf durch Training immer stärker und bedrohlicher werden. Aber was ist der richtige Erziehungsstil? Soll Sean ihn maßregeln oder eher für sein Glück sorgen? Soll er ihm verbieten, seine Kräfte zu nutzen, oder sie zu ihrem Vorteil einsetzen? Für Seans Verarbeitung der Erlebnisse und seine Wünsche gibt es wenig Raum. Als großer Bruder gilt es stets dafür zu sorgen, dass es Daniel gut geht. 


Deine eigenen Wünsche zählen nicht

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Während Life is Strange das Thema Freundschaft in den Vordergrund stellte, geht es in Life is Strange 2 um Familie und Erziehung. © 4P/Screenshot
So gibt es Momente wie in Episode 3, in denen die Brüder auf einer Marihuana-Farm anheuern und auf weitere Aussteiger treffen, die alle ebenfalls harte Schicksale durchleben mussten. Life is Strange 2 schafft es immer wieder diese gemütlichen und gleichzeitig sehr bedeutsamen Momente zu inszenieren, in denen man mit interessanten Leuten am Feuer sitzt und ihren Geschichten lauscht. Dann wirkt die Welt endlich nicht mehr so kalt, die Reise nicht ganz so aussichtslos. Doch selbst in diesen schönen Momenten wird Sean immer wieder daran erinnert, dass er stets die Rolle des Erwachsenen einnehmen muss: Soll ich jetzt am Joint ziehen und endlich mal wieder mit einer Frau Sex haben? Oder bleibe ich lieber bei Daniel und verzichte auf Spaß? 

Nachdem die Situation in meinem Spieldurchgang in Episode 3 eskalierte, wird die anfänglich zwar beschwerliche, aber eher an eine Wanderung erinnernde Reise, in den letzten beiden Episoden zum wirklichen Überlebenskampf. Lange wusste ich nicht wie es weitergehen soll und ob die beiden jemals ihr Ziel erreichen werden.


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Gemütlich mit Gleichaltrigen abhängen und Regeln brechen? Eine schwierige Entscheidung als Elternersatz. © 4P/Screenshot
Meine emotionale Beziehung zu Sean und Daniel und ihre spannende Reise von Washington, über Kalifornien und Arizona bis nach Mexiko, waren für mich das Highlight von Life is Strange 2. Die Spielmechanik ist erneut sehr reduziert: Man kann Gegenstände untersuchen, ab und an etwas spielen, eine Figur zusammensetzen oder zeichnen. Hier hätte man etwas kreativer sein können, da die Aufgaben nicht besonders spannend sind. Im Verlauf muss man mit Daniel immer wieder Gegenstände aus dem Weg räumen, um seine Kräfte zu trainieren und alle wichtigen Ereignisse werden im erneut grandios gezeichneten Tagebuch samt Route festgehalten. Als Europäer vergisst man schnell, was es heißt, in Amerika von einer Stadt zur nächsten zu wandern.