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Kathy Rain 2: Soothsayer im Test – Dieses Krimi-Adventure definiert ein ganzes Genre neu

Fünf Morde und eine heruntergewirtschaftete Schnüffelschnauze – machen aus Kathy Rain 2 das vielleicht beste Oldschool-Adventure des Jahres?

Eine Bildmontage zum Videospiel Kathy Rain 2: Soothsayer.
© Raw Fury / Clifftop Games

Was ist ein Action-Adventure?

Ein neuer Ted Bundy im Postkarten-Pixelparadies?

Als Kathy Rain strecke ich jetzt meine Schnüffelnase aus, stelle ziemlich zügig fest: Das jüngste Mordopfer, die berühmte Romanautorin Debra Sinclair, stellt gerade mal die Spitze des Eisbergs dar. Unter dem tagesaktuellen Blutbad liegen nämlich noch vier weitere Morde aus jüngster Zeit begraben, die das fiktionale Städtchen Kassidy City in Angst und noch mehr Schrecken versetzen. Während das erste Opfer noch profan mit einem Messer erstochen wurde, stürzte das zweite von einem Hochhaus, das dritte wurde erhangen aufgefunden, das vierte – Gipfel der Grausamkeit – wurde bei lebendigem Leibe verbrannt.

Dass Kathy Rain 2 auf einem für einen Thriller mehr als stabilen Fundament steht, ist eine der definitiven Stärken – welche für mich im letzten Drittel leider brökelte. Aber verweilen wir zuerst bei positiven Aspekten, von denen Kathy Rain 2 einen ganzen Schrank voller Fallakten heranrollt, sozusagen. Erstmal oberflächlich-optisch: Während die erste Kathy Rain unter Pixelart-Gesichtspunkten schon kein hässliches Entlein war, mausert sich Kathy Rain 2 zum prächtigen Schwan. Nicht nur wirken die Hintergründe noch stylischer, die Charaktere darin noch hübscher, auch technisch hat sich was getan – was man bei nostalgischer Pixelbrei-Kost nicht vermuten möchte.

Beispielsweise vor dem Pfandhaus, wo ich mit Dealer Meadow plaudere, erstrahlt blickschöne Neonlicht-Werbung in kräftigen Farben, während sich Kathys Charaktermodell in einer Regenpfütze auf dem Asphalt spiegelt. Oder zum Beispiel in Kassidy Citys Stadtbibliothek. Diese durchschreite ich als Kathy, während im Bildhintergrund zweistöckige Galerien dank Parallax Scrolling langsamer vorbeiziehen, als die Säulen im Bildvordergrund. Sprich: Jeder Pixel von Kathy Rain 2 ist ein Feuerwerk der Detalverliebtheit. Und erst die Zwischensequenzen sind ein Fasching für die Augen!

Bleibt die Schlüsselfrage, die auch für nischige Indie-Titeln gilt: Ist das mehr als nur schön anzuguckendes Blendwerk? Meine Antwort fällt zwiespältig aus. Die ersten beiden Drittel von Kathy Rain 2 haben mich mitgerissen, wie sich das für einen temporeich erzählten Thriller gehört. Nach und nach erschloss ich mir immer mehr Schauplätze, lernte einen skurrilen Charakter nach dem anderen kennen, stückchenweise wurde deutlicher, wer (oder was) hinter den fünf Morden steckt. Dabei war eine ganze besondere Denksport-Aufgabe mein persönliches Knobel-Highlight …

Tell, don’t Show, Stupid!

Die Denkspiele in Kathy Rain 2 sind abwechslungsreich: siehe Pastor Isaac. Während der Geistliche unter der Motorhaube werkelt, ruft er Kathy eine immer komplizierter werdende Reihung von Werkzeugen zu, die ich in richtiger Reihenfolge aus seinem Werkzeugkasten hervorhole. Während das fast schon Minispiel-Charakter hatte, wird’s im Club of Hearts, einem Nachtclub für Freunde und Freundinnen des gesprochene Worts, poetisch. Als Kathy muss ich mir das richtige Haiku zusammenklicken, um die Aufmerksamkeit der Club-Betreiberin Hannah Verdoux zu erringen.

Freudiger Kopfnuss-Knackpunkt war für mich jedoch ein bestimmtes Geheimcode-Rätsel rund um Kathy Mentor Lucas Longhorn. Oder eine spätere Rätselpassage, bei der sich der Laptop von Kathys Freundin Eileen und IT-Kenntnisse auszahlen – aber, pssst, mehr verrate ich nicht. Auch erzählerisch versteht es Clifftop Games, die Spannungsschraube Stück für Stück anzudrehen. Nicht nur wird Kathy nachtsüber von Albträumen geplagt (The Excavation of Hob’s Barrow lässt grüßen), auch zieht das Storytelling während der ersten beiden Drittel genau die richtigen Hebel, damit sich die kriminalistische Ermittlungsarbeit zum waschechten Thriller steigert.

Dieses Video führt euch nebenbei bemerkt nochmal vor Augen, welchen Sprung Kathy Rain auch grafisch hingelegt hat:

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Ohne zu spoilern: Kathy wird etwas genommen, was sie liebt, ein gefürchtetes Etwas aus ihrer Vergangenheit kehrt zurück – und auf die Polizei ist auch irgendwann kein Verlass mehr. Enttäuscht, wenn auch auf hohem Niveau, wurde ich wie gesagt beim letzten Drittel. Über das Storytelling-Prinzip „Show don’t tell” lässt sich streiten – nützlich ist es dennoch. Es besagt, man solle die Handlung lieber durch die Taten der Figuren vortreiben, nicht durch das, was gesagt wird.

Bei einem Wendepunkt Richtung Finalspannung stellt Kathy Rain 2 das Prinzip hin zu einem „Tell don’t Show“ auf den Kopf – was für mich nicht funktioniert hat. Stichwort: Charakter X taucht auf, löst plötzlich (fast) alles auf. Sicher, in Point-And-Click-Adventures wird gerne und viel gesprochen, aber einen eher randständigen Charakter als Erklärbär ins Geschehen zu stellen, davon hätte ich abgesehen. Dafür hat mich das Ende dann wieder mehr als überzeugt.