Ein weiteres Beispiel: Anfänglich reicht es vollkommen aus, die Gegner in einem neuen Abschnitt per Prügelei auszuschalten und sich dann in aller Ruhe dem Sprühen zu widmen. Und so intensiv die gut kontrollierbaren Gefechte auch sind, hat man relativ schnell den Faden raus und macht die Kontrahenten im Handumdrehen fertig – strategische Bosskämpfe ausgenommen. Bevor allerdings Routine oder gar Langeweile aufkommt, werden die Anforderungen an euch leicht modifiziert: Gegner werden so stark bzw. greifen euch in Gruppen an, die man nur in Ausnahmefällen besiegen kann. Und schon kommt ein kleines Stealth-Element ins Spiel, das zwar nicht mit Ikonen wie Sam Fisher oder Solid Snake mithalten kann, aber für dringend benötigte Abwechslung sorgt.
Derlei Variationen der Spielmechanismen und das Einfügen weiterer Elemente finden sich immer wieder, so dass keine Langeweile aufkommt.
Es ist nicht alles Gold…
Allerdings findet man neben den neuen und motivierenden Elementen auch immer wieder Versatzstücke im Spiel, die anfängliche Euphorie schnell auf ein „normales“ Maß zurecht stutzen. Bedauerlicherweise sind diese nicht nur technischer Natur, sondern auch im Design zu finden.
Nehmen wir die KI der CCK-Schergen in späteren Abschnitten: Sobald sie Sichtkontakt aufnehmen, geht die Verfolgung los – das ist gut! Schafft ihr es aber, direkt vor ihren Augen über einen Zaun zu klettern und aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden, tut das ausführende Staatsorgan so, als ob nichts passiert wäre und geht langsam, aber sicher auf seinen angestammten Platz bzw. seine Kontroll-Route zurück – das ist schlecht!
Aus Designsicht kann ich zwar verstehen, dass es faire Punkte gibt, an denen man als Spieler sicher ist. Doch so augenscheinlich grenzdebil wird sich niemand verhalten, der Anarchie unterdrücken will. Auch einige andere Entscheidungen kann ich aus Fairnessgründen nachvollziehen. Was allerdings nicht hilft, Mängel im KI-Design zu verschleiern: Wie z.B. der Abschnitt, in dem ihr wandernden Scheinwerfern ausweichen müsst. Sobald sie euch erfassen, wird zwar wie wild gefeuert, doch wenn ihr aus dem Lichtkegel verschwindet, passiert… nichts! Kein Versuch, euch wieder ins Visier zu bekommen; nicht einmal schnellere Bewegungen der Suchleuchten. Hier werden diverse Chancen verschenkt, das Spielerlebnis noch intensiver zu gestalten.
Ein weiterer Punkt, der sauer aufstößt, betrifft die Graffitis: Ihr habt zwar im Laufe des Spieles Zugriff auf einen Haufen unterschiedlicher Sprühmuster, doch ein Tool zum Erstellen bzw. auf dem PC zum Importieren eigener Graffitis sucht man vergeblich. Und auch hier gilt: Aus Designsicht durchaus verständlich, da die Geschichte um Trane und seine Graffitis im Mittelpunkt steht. Trotzdem: Die Sprühkunst lebt von ihrer Individualität und daher ist es sehr bedauerlich, dass man keinerlei Möglichkeiten hat, seiner eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen.
Schwankende Technik
So zwiespältig wie das Spielerlebnis zeigt sich auch die Technik im Systemvergleich. Generell weiß der Grafikstil, der sich irgendwo zwischen der GTA-Serie und EAs Def Jam-Spielen einsortiert, zu gefallen: die Animationen passen, die Umgebungen sind stimmig und das Gefühl, in schwindelnder Höhe sowohl Graffitis zu sprühen als auch gefährliche Sprungpassagen zu bewältigen, ist kaum zu beschreiben.
Wer allerdings die Wahl des Spielsystems hat, sollte bei den Konsolen bleiben. Die Xbox- und PS2-Fassungen sind zwar nicht so hoch aufgelöst, bieten aber keine Flackertexturen wie am PC und sind zudem besser zu steuern als mit der unglücklichen Maus-/Tastatur-Kombination. Wer allerdings ein Xbox 360-Pad am PC anschließt, wird mit einer Steuerung verwöhnt, die den Konsolen in nichts nachsteht und zudem nicht konfiguriert werden muss.
Auf allen Systemen gleichermaßen madig ist die deutsche Lokalisierung. Zwar hat man mit Afrob einen einigermaßen populären deutschen HipHop-Star hinter das Mikrofon zerren können, um Trane seine Stimme zu leihen, doch selbst er kann die miese Qualität der lokalisierten Texte nicht schön reden. Da greift man lieber zum O-Ton, in dem sich Stars wie Michelle Rodriguez, Talib Kweli und Sean „Diddy“ Combs die Klinke in die Hand geben und eine überzeugende Vorstellung abliefern.
Letzterer ist zusammen mit Marc Ecko auch für den Soundtrack zuständig, der das herausragende Merkmal von Getting Up darstellt. Die fetten Beats der lizenzierten Songs passen zu dem Graffiti-HipHop-Lifestyle-Abenteuer wie die Faust aufs Auge. Und mit etwas mehr Kreativität wäre auch der Rest des Spieles zu einem außergewöhnlichen Erlebnis geworden. So aber bleibt Getting Up „nur“ ein leicht überdurchschnittliches Action-Adventure, dessen gute Ideen nicht ausreichend ausgearbeitet wurden.
Getting Up: Contents under Pressure (Action-Adventure) – Getting Up: Contents under Pressure
