Wenn Survival-Spiele ein Motto hätten, wäre es: „Carpe Diem“, zu Deutsch: „Nutze den Tag“. Ja, ich weiß, dieser Spruch hat mittlerweile nicht mehr Aussagekraft als das typische Ikea-Küchenbild, auf dem er steht. In Survival-Spielen haben diese beiden Worte allerdings nie ihre Macht verloren. Weil ihr ohne sie nicht wüsstet, was ihr tun sollt, wenn ihr morgens eure selbstgebaute Hütte verlasst. Das Motto treibt euch dazu an, heute etwas Wichtiges zu tun. Oder etwas Kreatives. Oder etwas Lehrhaftes. Oder etwas, um zu Überleben. Soll heißen: Ein Survivalspiel ist so nur so gut wie sein Carpe Diem. Zum Release von Minecraft wollte ich unbedingt den Marker aus Dead Space nachbauen. Es war zu der Zeit das architektonisch beeindruckendste Objekt für mich. In Valheim, 10 Jahre später, habe ich die meiste Zeit nur erkundet und lediglich eine kleine Hütte errichtet. Weil die Spielwelt mich nicht zu mehr inspiriert hat. Während andere den Millennium Falken zusammenzimmerten, ich weiß. Ihr merkt schon: Mein Carpe Diem ist über die Jahre sehr launisch und verwöhnt geworden. Ich möchte 4Players an dieser Stelle für zwei Sachen danken: Erstens, weil ich nicht Pal(e)world testen musste, dessen Motto am ehesten „Carpe Pale“ ist. Und zweitens, dass ich Enshrouded testen durfte, bei dem ich ein Erwachen spürte. Yoda vermutlich auch.
Legen wir für einen Moment die rosarote Brille der Verzückung ab und tauschen sie gegen das graue Monokel des Realismus aus. Early Access bedeutet unfertig, aber bedeutet es auch lohnenswert? Enshrouded ist zurzeit bereits richtig gut, aber wird es, je fertiger es wird, auch fantastisch oder einfach nur größer? Wann hört das Spiel auf, mich mit neuen Möglichkeiten zu überraschen? Dass etwas fehlt, ist spürbar. Es sind keine Schwächen, sondern offene Fragen, die Entwickler Keen Games in der Zukunft beantworten sollte.
Zurzeit steht den Spielern noch nicht die gesamte gezeigte Spielwelt zur Verfügung. Diverse Biome fehlen. Gleichzeitig frage ich mich, ob auch genügend neue Abenteuer und Expeditionen nachgereicht werden, bevor sich die Abläufe zu wiederholen beginnen. Aktuell ist es so, dass jedes Gebiet gemessen an den Gegnern ein unterschiedliches Level erfordert, was das Erkunden einschränkt und sich etwas mit der “Mach was, du willst”-Vision beißt. Bleibt das so oder wird es eine abstellbare Option für Genießer geben? Wie viele Endgegner kommen noch dazu? Wird es irgendwann ein spürbares Mid- und Endgame geben? Das wird das Feedback der Fans und das Tun der Entwickler zeigen.
Aber zurzeit habe ich auch nach 20 Stunden noch keinen langweiligen Ort entdeckt und gleichzeitig liegen immer noch Orte in der Ferne, die ich unbedingt erkunden will. Auch nach 20 Stunden begeistern mich die Tage immer noch genauso wie die Nächte, ein atmosphärischer Schmaus für Ohren, Augen und Geist. Ich habe immer noch Bauideen und meine Gefährten haben immer noch neue Rezepte für mich auf Lager. Zusätzlich habe ich immer noch nicht alle gefunden. Mein persönliches großes Ziel ist es, eine komplette Stadt wieder aufzubauen und jedem Charakter ein eigenes Haus zu bauen. Mein Carpe Diem ist so stark wie an Tag 1, selbst wenn mich die Story immer noch nicht interessiert oder antreibt. Was ich mich nur frage: Was geschieht nach 30 oder 40 Stunden? Ich bleibe optimistisch, während Keen Games hoffentlich so talentiert bleibt.