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Dracula: Origin (Adventure) – Dracula: Origin

Eine nächtliche Szenerie, eine Reihe von seltsam zugerichteten Toten und ein uralter Mythos – das sind die wesentlichen Bestandteile von Dracula: Origin. Hinzu kommen jede Menge knackiger Rätsel sowie ein kleiner Schuss Gothic-Atmosphäre. Mundet der viktorianische Adventure-Cocktail aus dem Hause Frogwares (Sherlock Holmes) oder entpuppt er sich eher als blutleer?

© Frogwares / Deep Silver

Blasse Hauptdarsteller

Wer ist eigentlich die Hauptfigur in Bram Stokers Gruselroman Dracula? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Der blutsaugende Namensgeber ist es jedenfalls nicht, da er nur ab und an mal auftaucht, weil das

Der transsilvanische Graf ist auch im Spiel eher ein seltener Gast, der blässlich bleibt und zudem einen fiesen Akzent hat. 

 geheimnisvoller wirkt. Ist es Jonathan Harker, der zum Grafen auf dessen schaurige Burg fährt? Wohl eher nicht, denn auch er fehlt die Hälfte der Zeit. Oder ist es etwa Professor Van Helsing, der dem Vampir in England auf die Schliche kommt? Aber auch der Forscher ist nicht immer präsent. Nun, das nach wie vor spannend zu lesende Buch hat wohl keinen echten Hauptdarsteller, was sicher auch daran liegt, dass er nur aus Tagebucheinträgen, Briefen und Textfragmenten unterschiedlicher Leute besteht.

In Dracula: Origin gibt hingegen ganz eindeutig Van Helsing den Ton an, den ihr auf in 3rd-Person-Sicht auf seiner Jagd nach dem untoten Adeligen durch London, Kairo, Wien und Transsilvanien steuert. Leider wirkt der niederländische Wissenschaftler ebenso wenig charismatisch wie Dracula selbst, der im Spiel sogar noch weniger Auftritte bekommt als im klassischen Roman. Eines machte Stoker aber eindeutig besser, denn bei ihm taucht der unheilige Graf gleich zu Beginn auf. Das Spiel hingegen könnt ihr viertel durchspielen, bevor ihr den auf Latinlover getrimmten Dracula überhaupt mal seht, der stimmlich aber nicht überzeugt, weil ihn ein lächerlicher Ostakzent plagt. Van Helsing ist kaum lebendiger, obwohl ihr ihn dauernd begleitet. Er bleibt blass wie alle anderen Figuren, auch wenn er besser klingt als viele, die sich einfach nur billig anhören.

Kaum Nervenkitzel

Die Geschichte ist schnell zusammen gefasst, auch wenn sie im Vergleich zu Stokers Roman leicht gekürzt und verändert wurde; so fehlen einige Personen wie etwa die arme Lucy. In den Straßen Londons ereignen sich seltsame Todesfälle, die

Trotz finsterer Grundstimmung schafft das Adventure kein Gefühl der Bedrohung. Selbst auf dem Gottesacker packt euch nicht das Grausen.

auf den ersten Blick ohne Zusammenhang zu sein scheinen. Allerdings fällt bei den bedauernswerten Opfern ein großer Blutverlust auf sowie eine riesige Fledermaus, die vom Tatort floh. Van Helsing glaubt nicht an einen menschlichen Mörder, sondern sieht Verbindungen zum uralten Mythos des untoten Blutsaugers, der nun in der viktorianischen Metropole sein Unwesen treibt. Darauf weist auch ein Brief hin, den Van Helsing zu Beginn von einem gewissen Jonathan Harker bekommt, der unter ungeklärten Umständen ums Leben kam.

Scheinbar hat es der Vampirfürst auf Harkers adrette Verlobte Mina abgesehen, in die er seine Fangzähne beißen möchte. In ihr erkennt er eine verflossene Geliebte wieder, von der er einst Abschied nehmen musste. Als Mina ins Visier gerät, muss Van Helsing aktiv werden… Obwohl die antiquierte Geschichte eigentlich viel Raum für gepflegten Grusel böte, sorgt sie in der Tat kaum für Nervenflattern. Es wird nicht mal gruslig, als ihr euch in die Höhle des Löwen in London begebt, die neben einem Friedhof liegt. Blutige Szenen fehlen, da es ab 12 freigegeben ist. Die Umgebung ist düster gezeichnet, wie man es von einer Gothic-Erzählung erwartet, aber die Story wird eher lustlos erzählt. Insbesondere wenn man sie mit dem Roman vergleicht, der trotz seiner 111 Jahre auf dem Buckel kontinuierlich ein Gefühl der Bedrohung aufbaut, das hier fehlt.

Knackige Aufgaben

Zu Beginn listet Van Helsing die Ausrüstung auf, die wohl jeder Vampirjäger, der etwas auf sich hält, braucht: Knoblauch, Kruzifix und Holzpflock. Auch den Blick in den leeren Spiegel mögen die Untoten mit den Spitzzähnen gar nicht, wohingegen

Wie schafft ihr es, ungesehen an Draculas Diener vorbei zu kommen? Eines der wenigen Rätsel, bei dem Spielwitz aufflammt.  

sie (noch) nichts gegen Sonnenlicht haben. Daher könnte man beinahe denken, dass es nun gilt, diese heiligen Waffen auch einzusetzen. Doch Möchtegern-Vampirkiller seien gewarnt, denn die Rätsel haben meist nichts damit zu tun. Euer Held wertet lieber öde Textberichte aus, knackt Schlösser und fummelt an Mechanismen herum, wie ihr das aus Adventures aus dem Hause Frogwares kennt, anstatt Dracula auf die Pelle zu rücken. Auch dessen Insekten vertilgenden Diener „Igor“ bekämpft ihr mittels einer List und nicht mit der Keule. Immerhin sehen die rätselhaften Apparate schön aus.

Davon abgesehen sind die Rätsel bei Dracula: Origin recht knifflig, was Adventurefans freuen dürfte aber Neulinge wiederum nicht. Das gilt weniger für die Inventaraufgaben, die meist recht einfach sind, sondern für die Logikrätsel, die während der rund 12 Stunden Spielzeit im gleichen Maße vorkommen. Hier läuft es oft auf ausprobieren hinaus, was Anfänger zu sehr frustrieren dürfte. Frogwares ist leider dafür bekannt, dass die Rätsel bisweilen kaum lösbar sind, weil ihr nicht wisst, was zu tun ist. Meist muss man am Schluss noch zusätzlich etwas drücken, was einen schon zur Weißglut treiben kann. Man hat alles getan und dann schnappt das blöde Ding trotzdem nicht auf, wie man es von Point&Click gewohnt ist. Langwierige Fummelei ist leider die Folge, da auch die Komplettlösung hier nicht weiter hilft.