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DiRT Rally (Rennspiel) – Eine intensive (Grenz-)Erfahrung

Genau wie die Entwickler der Slightly Mad Studios mit Project Cars hat Codemasters jetzt auch seine Rallye-Simulation DiRT Rally per Patch fit für den VR-Einsatz gemacht. Im Gegensatz zum Racing-Mitbewerber unterstützt man bisher offiziell aber nur das Headset von Oculus. Ob der holprige Ritt über die Schotter- und Asphaltpisten die Immersion in VR ebenfalls verstärkt oder der Magen einer harten Bewährungsprobe unterzogen wird, klären wir im neuen VR-Fazit am Ende des ursprünglichen PC-Tests…

© Codemasters Racing / Codemasters

Nüchtern, trocken, hammerhart

Was für eine überraschende Kehrtwende! Nach der stylischen Aufmachung der DiRT-Reihe, die mit Showdown endgültig in den Arcade-Bereich abdriftete, präsentiert sich Codemasters bei DiRT Rally von einer ganz anderen Seite: Die Menüs und Aufmachung sind ungewöhnlich zurückhaltend und funktional – böse Zungen würden sie vielleicht sogar als einfach, trocken und öde bezeichnen. Aber irgendwie passt es zu der nüchternen Ausrichtung, die man hier verfolgt. Es geht nicht länger um das laute „Tam-tam“, die Pyro-Technik bei der Zieldurchfahrt, das möglichst spektakuläre Schlittern durch Kurven oder das Zerstören von aufgestellten Schildern. Nein, hier steht wieder der klassische Kampf gegen die Uhr im Mittelpunkt, wenn die Rallye-Piloten im Einzelzeitfahren mit Vollgas durch die Natur preschen, mit dem Einsatz der Handbremse enge Haarnadelkurven bezwingen oder waghalsige Sprünge absolvieren.    

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Der Mini eignet sich hervorragend für Anfänger, kann aber auch schon ganz schön zickig sein. © 4P/Screenshot

Klar verfolgten Milestone und zuletzt Kylotonn mit ihren offiziellen WRC-Spielen den gleichen Ansatz und das Ziel, den Motorsport möglichst realistisch einzufangen. Doch wer sich zum ersten Mal hinter das Steuer von DiRT Rally klemmt, wird sehr schnell feststellen: Das hier ist eine ganz andere Liga, wenn es um den Anspruch und Simulationscharakter geht! Während das Fahrerlebnis für Anfänger trotz zuschaltbarer Hilfen wie ABS, Traktions- und Stabilitätskontrolle mit einer steilen Lernkurve schnell von Frust geprägt sein dürfte, finden Freunde anspruchsvoller Physik und Fans des betagten Richard Burns Rally endlich das, was ihnen so viele Jahre vorenthalten wurde: eine ernsthafte, realistisch anmutende Rallye-Simulation, die keine Kompromisse eingeht, keine Fehler verzeiht, sich auf das Wesentliche konzentriert und den Fahrern alles abverlangt, wenn sie mit einer konkurrenzfähigen Zeit über die Ziellinie fahren wollen.

Rasen mit Gefühl

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Auch ohne Handbrems-Einsatz bricht das Heck in Kurven schnell weg – mit einem reinen Bleifuß kommt man hier nicht weit. © 4P/Screenshot

Selbst bei den Anfänger-Boliden aus den 1960er-Jahren, also dem Mini Cooper S und dem Lancia Fulvia HF, hat man schon alle Hände voll zu tun, die Kontrolle beim Rasen über die unebenen Pisten zu behalten. Sitzt man später in PS-Monstern der Gruppe B wie dem Ford RS 200 oder dem Klassiker Audio Sport Quattro sowie modernen WRC-Karossen wie dem Ford Focus aus dem Jahr 2007 bzw. aktuellen Vertretern wie dem Volkswagen Polo, artet das Fahrvergnügen in harte Arbeit aus. Bei höherer Geschwindigkeit zeigt die authentische Lastenverteilung entsprechend stärkere Auswirkungen und es fällt zunehmend schwerer, das ausbrechende Heck zu bändigen. Nach dem Sprung über eine schlecht einsehbare Kuppe kann sich ein ungünstiger Winkel genauso fatal auswirken wie ein zu spätes Bremsmanöver. Tatsächlich muss man erst ein gewisses Gefühl für die einzelnen Wagen der verschiedenen Klassen entwickeln, bevor man nur daran denken kann, die Boliden halbwegs souverän über die Pisten zu dirigieren. Der Weg dorthin kann hart und beschwerlich sein, denn Codemasters hat den einzelnen Modellen nicht nur individuelle Fahreigenschaften verpasst, sondern kennt auch kein Pardon: Jeder größere Abflug wird mit einer saftigen Zeitstrafe quittiert, und jeder Neustart einer Etappe verringert den möglichen Prämien-Bonus am Ende einer Rallye. Zudem sind die recht niedrigen Preisgelder an die Verwendung von Fahrhilfen gekoppelt und für Reparaturen  steht – wie in der Realität üblich – nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung. Wird es überschritten, wartet die nächste Zeitstrafe.

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Die Anweisungen des Beifahrers sind hilfreich. Eigene Streckenkentnisse sind vor allem später von Vorteil. © 4P/Screenshot

Ich muss gestehen: Mir gefällt diese harte, kompromisslose Linie, obwohl ich manchmal am liebsten vor Frust ins Lenkrad gebissen hätte, wenn ich nach einer blöden Aktion mit den ärgerlichen Konsequenzen leben musste. Aber nach all den Rückspul-Orgien und unendlichen Neuversuchen fühlt es sich hier einfach gut an, der Rallye-Herausforderung wieder mit etwas mehr Respekt zu begegnen. Man fährt völlig anders und unter einer angenehmen Anspannung, wenn man weiß, dass man Fehler nicht einfach oder ohne Konsequenzen auf Knopfdruck rückgängig machen kann.