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Blasphemous (Action-Adventure) – Zwischen Leid und Leid

Ein 2D gewordenes Dark Souls? Ein weiteres, austauschbares „Metroidvania“? Die verspätete Versoftung des Pontifikats Joseph Ratzingers? Jein. Nein. Mitnichten! Blasphemous baut eine düstere Pixelwelt von selten gesehener Intensität und voller Symbolik auf – in unserem Test erfahrt ihr, ob Spielablauf, Kampfsystem & Co. qualitativ mithalten können.

© The Game Kitchen / Team17

Big Brother

 

Schwere Bürde oder schöne Vorschusslorbeeren? Schon lange vor Release mit Dark Souls verglichen zu werden, den Stempel 2D-Dark-Souls aufgedrückt zu bekommen, kann beides sein. Dabei haben die Entwickler von Blasphemous nicht darum gebeten: In ihrer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne aus dem Jahr 2017 wird der große 3D-Bruder mit keinem Wort erwähnt! 

Und schlussendlich sind Dark Souls, Bloodborne oder Nioh auch nur ein paar der ähnlich gelagerten Spiele. Schätzt ihr die Castlevania-Serie oder die Thematik von Dante’s Inferno, steht ihr auf schön gepixelte, actionreiche Action-Abenteuer à la Dead Cells oder The Messenger – auch dann dürfte dieses spanische Indiespiel nach Eurem Geschmack sein.

In jedem Fall solltet ihr leidensfähig sein, und zwar in doppelter Hinsicht: Denn zum einen ist Blasphemous angenehm anspruchsvoll – ihr sucht mitunter eine Weile nach dem richtigen Weg, müsst euch eine komplexe Levelstruktur einprägen, Sprungpassagen über tödliche Stacheln meistern und mit tückischen Standardfeinden plus ausgefeilt attackierenden Bossen ringen. Kurz gesagt: Ihr sterbt dutzendfach. Zum anderen ist das Motiv Leid – verknüpft mit Buße, Läuterung, Schmerz – das allgegenwärtige Grundthema des Titels. Ihr spielt den Büßer, einen stummen Ritter, der das wüste Land Cvstodia durchwandert – es geht auf windumtoste Gipfel und durch Bibliotheken voller Geistwesen, in finstere Kerker und mächtige Sakralbauten. Dabei ist die christliche Mystik nicht nur ein ständiger Begleiter, vielmehr sogar grundlegende Inspiration für die Orte und Geschöpfe dieser Welt.

Virtueller Vatikan

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Blasphemous wäre das wohl schönste SNES-Spiel der Welt. Der Pixel-Look erinnert an die 16-Bit-Ära – was in puncto Scrolling und Hintergründe abgeht, wäre aber damals nicht drin gewesen. © 4P/Screenshot

Ihr findet weinende Statuen und Brunnen voller Blut, steht neben den gigantischen Säulen einer Kathedrale und steigt in ein Ossarium (deutsch: Beinhaus) hinab, um dort in der Welt aufgelesene Knochen abzuliefern. Eure Aktionspalette ist dabei stets überschaubar: Ihr springt und schlagt mit jeweils einem Knopf, blockt oder weicht per Rutscher aus, nehmt Heiltränke oder startet eine magische Attacke. Bald nach Spielbeginn lernt der behelmte Streiter ein paar zusätzliche Manöver, die ihm erlauben, sich mit dem Schwert an hölzernen Wänden festzukrallen, im Sprung kraftvoll nach unten zu stoßen und – sehr wichtig – während des Ausfallschritts zuzustechen. Damit ist Euer Move-Repertoir dann aber auch beinahe komplett – dieses Rüstzeug wird euch in den nächsten 15 bis 25 Stunden begleiten.

 

Nicht nur die außerordentlich schön gepixelten Landschaften und Hintergründe, sondern auch ihre sehenswert animierten Bewohner sind voller religiöser Anspielungen, geradezu ein wandelndes kirchliches Gruselkabinett: Da gibt es den traurigen Ritter, der seinen eigenen Steinsarg auf dem Rücken schleppt, oder den aschfahlen Bischof, der auf einem Kirchenthron durchs Level schwebt. Ihr begegnet Flagellanten, die sich selbt den Rücken geißeln, und alten schlurfenden Weibern, die euch mit einem Gefäß den Schädel einschlagen wollen, aus dem der Arm eines Toten heraushängt. Auch beim Design der Levelwächter haben sich die Grafiker selbst übertroffen: „Unsere Dame mit dem verbrannten Antlitz“ entpuppt sich als entstellter Riesenschädel mit klaffender Stirnwunde, der exhumierte Erzbischof Helquiades wird von mehreren riesigen Armen durchs Level getragen und dem Riesenknaben Expósito, gehalten von Händen aus verknöchertem Holz, tropft Blut unter der Augenbinde heraus.

Raue Sitten


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Kampf mit dem heiligen Stuhl – dieser schwebende Bischof ist nur ein Beispiel für die düsteren, einfallsreichen Standardgegner. © 4P/Screenshot

Kurzum: Die inszenatorische Vielfalt und auch die Qualität der düsteren Feindscharen sind ein Hauptgrund, sich lange und ausführlich mit Blasphemous zu befassen – und sie hätten ganz sicher auch dem niederländischen Maler Hieronymus Bosch gefallen! Obendrein kann der Büßer angeschlagene Feinde manchmal mit Finishing Moves erledigen: Dann rammt er seine Klinge besonders grob in ihre Eingeweide oder richtet sie makaber mit ihren eigenen Waffen hin. Mein Favorit war ein aus einem Bilderrahmen greifender Mann, den meine Spielfigur kurzerhand an den Haaren aus dem Rahmen zerrt, in zwei Hälften zerteilt und den Oberkörper anschließend zu Boden schleudert. Diese Manöver dürften der Hauptgrund für die USK-18-Einstufung des Titels sein.