Blau wie Ruhe
Ich bin sehr entspannt. Was nicht daran liegt, dass ich gerade vor einem Installationsbalken sitze, der mit der Geschwindigkeit eines durch Klebstoff tauchenden Faultiers von links nach rechts kraucht – das kennt man ja mittlerweile von der PS3. Nein, ich habe vorhin drei Stunden lang Beijing 2008 auf der 360 gespielt und dabei meinen Puls in Regionen befördert, die Kardiologen zu Bemerkungen wie »Ach du Scheiße…« bewegen. Was nicht nur an neuzeitlichen Folterübungen wie Kugelstoßen oder Turmspringen lag, dazu komme ich gleich noch. Sondern vielmehr an meinem rechten Arm, der immer noch ein bisschen zuckt.
Warum? Weil die Entwickler von Eurocom auf die Frage »Was können wir Sportspielern im Jahre 25 nach Track & Field außer Buttonmashing noch so antun?« nur die Antwort »Mehr Buttonmashing!!« fanden: Ein großer Teil der 38 Disziplinen funktioniert folgendermaßen: ABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABABAB. Bzw. auf PS3 XOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXOXO – mal kürzer (100m Sprint), mal länger (1500m Dauerlauf), jederzeit in einer Kolibri-artigen Intensität. Alternativ bieten die meisten Disziplinen die Möglichkeit, das Knöpfchenvernichten durch rasantes Wackeln eines Analogsticks zu ersetzen – was nicht viel, aber immerhin ein bisschen besser funktioniert. Doppelt ärgerlich wird das Ganze, sobald die Schultertasten ins Spiel kommen. Beim Sprint z.B. legt ihr damit überhaupt erst los: Während euer Sportler im Startblock auf seinen Auftritt wartet, drückt ihr immer wieder auf eine Schultertaste, um möglichst viel Power aufzubauen – nicht zu viel, sonst gibt’s einen Fehlstart. Erfolgt der Startschuss, solltet ihr möglichst schnell durchdrücken und drauflosmashen, denn ein vermasselter Start bedeutet in gefühlten 90% der Fälle einen verlorenen Lauf. Noch ärgerlicher wird’s bei Disziplinen wie Kugelstoßen, Speerwerfen oder Weitsprung, in denen ihr mit dem Trigger den Absprung- bzw. -wurfwinkel festlegt – und dafür einen grausam mickrigen Bruchteil einer Sekunde zur Verfügung habt.
Es gibt nur wenige Ausnahmen von dieser Regel: Beim Turmspringen kommen beide Sticks zum Einsatz, die voneinander unabhängig rotiert werden müssen, beim Bogenschießen muss nicht gezappelt, sondern ruhig gezielt werden. Und bei Disziplinen wie dem Bodenturnen oder dem Hochsprung kommt es gar nicht auf möglichst ausgeprägten Tatter, sondern auf flotte Reflexe an: Am Boden eingeblendete Tasten müssen präzise erwischt werden, um das Punktepolster so bequem wie möglich zu machen.
PC-Spieler haben entweder mit denselben Problemen oder mit einer ganzen Reihe anderer zu kämpfen: Ersteres wenn ein 360-Pad am USB-Port baumelt (dann ist nämlich alles identisch), Letzteres, falls das nicht der Fall sein sollte. Dann geht das große Fragen schon vor dem Hauptmenü los, nämlich wenn das Programm von einem verlangt, dass man ein Menü mit dem Button A bestätigt oder mit B ignoriert – was auf der Tastatur, aber das sagt einem keiner, Enter und Backspace entspricht. Aber das ist nur das geringste Problem, denn wenn ihr kein Pad habt, dann könnt ihr Beijing de facto nicht spielen: Disziplinen, die auf Analogsticks setzen (wie Turmspringen oder Bogenschießen), werden völlig unbrauchbar, alles andere ist mindestens zwei Klassen schlechter steuerbar. Am Pad, das eigentlich dem Spiel beiliegen sollte, führt hier kein Weg vorbei – selbst das Handbuch erwähnt die Tastatur nur in einem Nebensatz und bezieht sich sonst komplett auf den 360-Controller.
Rot wie Aggression
Den Hauptmenüpunkt »Training« übersehen fortgeschrittene Spieler normalerweise aus gutem Grund. Im Falle von Beijing 2008 wird diese Ignoranz teuer bezahlt, denn der Schwierigkeitsgrad vieler Disziplinen ist… hart. Dabei ist es nicht mal die KI, die einen besonders fordert, vielmehr scheinen die Weltrekorde jenseits von Gut und Böse zu liegen. Zwei Beispiele: Beim Rückenschwimmen lege ich einen perfekten Start hin, schwimme die ganze Zeit am Power-Limit, kriege eine perfekte Wendung hin (dieses Adjektiv wird vom Spiel angezeigt, ich lobe mich hier nicht selbst), rase wie die Nautilus dem Ziel entgegen – und liege dennoch satte zwei Sekunden unter dem Weltrekord! Beim Weitsprung renne ich mit voller Energie in Richtung Sand, bekomme einen Bonus für meinen perfekten Absprung, verpasse den optimalen Winkel von 45° um gerade mal drei Grad – und dennoch ist der Weltrekord mehr als 80cm entfernt. Während meiner zweitägigen Testphase habe ich nicht einen Weltrekord geknackt, was sich in einem Spiel, das die gesamte Familie zum Nachspielen der Olympiade vor den Fernseher locken soll, einfach falsch anfühlt. Mal ganz davon abgesehen, dass sich 360-Spieler tierisch darüber ärgern dürften, dass ein großer Teil der 50 Achievements daran gebunden sind, dass man Weltrekorde wie Nüsse knackt.