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Balan Wonderworld (Plattformer) – Wunderwelt mit Macken

Square Enix hat die Erfinder von Sonic the Hedgehog engagiert, jetzt ist deren erstes Spiel fertig: Das Jump’n’Run Balan Wonderworld hat viele gute Ideen, macht aber auch haarsträubende Fehler. Was das für den Spielspaß bedeutet, erläutern wir im Test.

© Square Enix / Arzest / Square Enix

Naka + Oshima = ?

 

Es wäre vermessen gewesen, vom Erstlingswerk der Balan Company eine Sternstunde des modernen Hüpfspiels zu erwarten. Das gibt die Bilanz der Macher in den letzten Jahren schlicht nicht her: Yuji Naka mag dem Mega Drive mit Sonic the Hedgehog 1991 ein technischen Meilenstein verpasst haben, das macht ihn aber noch nicht zu einem genialen Spieleregisseur des Jahres 2021; sein letztes Studio Prope war nach der Bauchlandung mit Rodea: The Sky Soldier nicht mehr in Erscheinung getreten. Und Naoto Oshima, einst der Charakterdesigner des prominenten Sega-Igels, hat mit seiner Firma Arzest in der letzten Dekade vor allem Nintendo-Hits ins Handheld-Format übertragen und davor mit zwei Blinx-Episoden vergeblich versucht, der ersten Xbox ein Maskottchen auf den Leib zu programmieren. Nun tut sich das einstige Dreamteam hinter Nights into Dreams erneut zusammen und hat ein 3D-Hüpfspiel mit massig Kostümen produziert, das wirkt als hätte Willy Wonka ein wilde Affäre mit dem Harlekin aus besagtem Nights. Balan Wonderworld tischt dem Spieler tatsächlich eine bonbonbunte Wunderwelt auf, die sich für kein kitschiges Szenario (Unterwasser-Delphinwelt!) zu schade ist und dabei auch noch keck in Richtung Disney linst – nach jedem Bossfight führt die Spielfigur zu beschwingter Musik eine Tanzeinlage auf, bei der die gesamte Welt mitwippt und Konfetti vom virtuellen Himmel regnet.

 

Kostümball

 

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In jeder Welt soll man die Probleme eines menschlichen Außenseiters lösen. Manches Objekt in der Spielwelt (hier: Fahrrad) erinnert dann an die jeweilige Geschichte. © 4P/Screenshot

Im Kern ist Balan Wonderworld ein 3D-Plattformer, der an Super Mario Odyssey oder A Hat in Time erinnert: Man wählt einen Buben oder ein Mädel als Spielfigur und von einer grasgrünen Mini-Oberwelt aus überschaubar große Jump’n’Stages aus. Alle Levels schweben frei im Raum und setzen auf sehr unterschiedliche Szenarios: Vom Bauernhof geht es in eine Insektenwelt, das Winterwunderland fehlt ebensowenig wie ein Dschungelgebiet oder ein Schachspiel-Land. Dort hopst man natürlich über bodenlose Abgründe, nutzt Schwebeplattformen, löst Schalter aus und springt Feinden auf die Rübe. Regelmäßig sammelt man zusätzlich Kostüme auf: Über 80 sind im Spiel enthalten, meist sind die damit verbundenen Fähigkeiten zwingend notwendig, um im jeweiligen Level voranzukommen. Die Verwandlungen bringen ganz profane Dinge mit (weiter springen, schießen, durchs Wasser tauchen), ermöglichen teils aber auch überraschende Dinge: Als Fackel auf Beinen kann man Zündschnüre zum Brennen bringen, das Zahnrad-Männchen darf als Einziger spezielle Schalter aktivieren und die Spinnenfrau geht senkrecht die Netze hoch. Drei Kostüme kann man stets bei sich tragen und auf Schultertastendruck durchwechseln. 

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Sehen niedlich aus, haben aber keinen wirklichen Sinn: Die plüschigen Tim-Wesen bevölkern die Levelauswahl-Oberwelt. © 4P/Screenshot
Die Krux an der Idee: Jedes Kostüm hat nur eine Spezialfähigkeit, in manchen darf man nicht mal mehr springen – das fühlt sich in einem Plattformer sehr einschränkend an. Als Mini-Kampfroboter schießt man z.B. automatisch, wenn man stillsteht, wer sich dieses Steuerkonzept – angesichts von vier Frontbuttons auf jedem Controller, von denen aber jeder diesselbe Aktion auslöst – ausgedacht hat, gehört gefeuert. Manche Kostüme sind sich teilweise zu ähnlich – z.B. gibt es mehrere, die einen in der Luft laufen lassen, andere scheinen den Spieler bewusst ärgern zu wollen: Die Laternenverwandlung schaltet das Licht in regelmäßigen Abständen einfach ab, die Sprint-Transformation wird hin und wieder langsamer. Ich schätze den Enthusiasmus der Entwickler, möglichst viele wilde Kostüme integrieren zu wollen, hier wäre aber weniger eindeutig mehr gewesen. Zudem ist das Design der Figürchen teils grenzwertig, in manchen Klamotten sieht meine Figur wie ein Vollhorst aus!

 

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Viele Stages wecken beim Jump’n’Run-Liebhabern sofort den Drang, die Welt zu erkunden – die Meereswelt ist besonders ansprechend. © 4P/Screenshot
Wo man, ergänzend zum Erreichen des Ausgangs, in Mario-Titeln Sterne oder Monde sammelt, warten in den Arealen von Balan Wonderworld goldene Statuen des titelgebenden Harlekins: Die sind vielfach einfallsreich verborgen und können nur mit klugem Kostümeinsatz ergattert werden. Praktischerweise kann man an jedem Checkpoint durch kurzes Warten auf einer kreisrunden Fläche den Kleiderschrank betreten und Kostüme aus anderen Welten anlegen – zwar nur solche, die man am Ende einer Stage in seiner 3er-Auswahl hatte, doch nach etlichen Levels kommt auch so eine ordentliche Garderobe zusammen. Warum sich das Spiel zu fein ist, diese Mechanik vernünftig zu erläutern, weiß ich leider nicht. Nach einer Weile steigt man aber dahinter und kann die goldenen Balans in jedem Level holen. Anders als in den hervorragenden Mario-Titeln oder auch jüngst in Sackboy: A Big Adventure reichen die Sammelgegenstände, die man im Vorrübergehen mitnimmt, nicht aus, um im Spielverlauf alle Welten freizuschalten. Das erneute Besuchen der Stages kann reizvoll sein, mir wäre es aber lieber gewesen, wenn man das ans Ende verfrachtet hätte und es nicht schon nach der Hälfte als Pflichtübung integriert hätte. Auch in diesem Punkt kann Balan Wonderworld also nicht mit der Nutzerfreundlichkeit der besseren Genre-Kollegen mithalten.