Der Ursprung des Ursprungs
Obwohl man in Origins die Gründung des Assassinen-Bundes aufzeichnete, geht Ubisoft für Odyssey noch ein Stück weiter zurück in die Vergangenheit. Genauer gesagt in die Zeit des Peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta von 431 – 404 v. Chr. Da zwischen den Ereignissen gut 400 Jahre liegen, erfährt man hier noch nichts von den Meuchelmörern per se, die letztlich in einer Linie zu Altair, Ezio Auditore, Connor Kenway oder den Frye-Geschwistern führen. Der griechische Buchstabe Lambda als omnipräsente Schildmarkierung der Spartaner gibt zwar erste Hinweise auf das Symbol, das schließlich den Assassinen-Bund kennzeichnen wird. Doch abseits dieser Anspielungen sowie Elementen, die sich seit dem ersten Auftritt von Altair im Jahr 2007 durch die Serie ziehen, wie z.B. dem Leap of Faith als Sprung in die Tiefe, der von einem Adlerpfiff begleitet wird, geht man sehr sparsam mit dem Thema um. Man etabliert zwar mit dem so genannten Kult des Kosmos als Verbund von Antagonisten, die die Weltordnung zerstören wollen, das Fundament dessen, was in den anderen Spielen als „Templer“-Fraktion die Gegenspieler der Assassinen darstellen wird. Doch erzählerisch steht ein Familiendrama vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Sparta und Athen im Mittelpunkt. Und das beginnt mit der Schlacht bei den Thermopylen, die auch im Comic bzw. Film „300“ verewigt wurde: Man schlüpft im Rahmen des Kampftutorials in die Rolle des mächtigen Spartaner-Königs Leonidas, der mit seinen Soldaten den Vormarsch der persischen Armee unter Führung von Xerxes stoppen möchte. Dass es Ubisoft Quebec als hauptverantwortlichem Team dabei gelingt, in serientypischer Manier historisch verbürgte Begebenheiten und Figuren wie Sokrates, Hippokrates, Kleon, Perikles, Herodot (der Historiker begleitet den Helden und gibt ihm damit einen halboffiziellen Anstrich) oder den erwähnten Leonidas mit der etablierten Geschichte um Templer auf der einen sowie Assassinen auf der anderen Seite zu verbinden, ist erneut bemerkenswert.
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Die alternative Historie, die hier erzählt wird, gehört unter dem Strich zu den stärksten, die Assassin‘s Creed bislang erzählt hat. Und das, obwohl man verdammt viele Fäden spinnt. Man bringt das Schicksal der Hauptfigur als Nachfahre von Leonidas sowohl dramaturgisch als auch inhaltlich unter einen Hut mit griechischen Mythen, historischen Fakten oder den Kriegswirren, setzt aber auch die erste Zivilisation als weiteres Leitthema überzeugend um und klärt dabei sogar ein paar Fragen, die sich im Lauf der Seriengeschichte angesammelt haben. Selbst die stets polarisierende Gegenwarts-Geschichte um die Auseinandersetzung von Abstergo und Assassinen wird behutsam und glaubwürdig fortgesetzt – im Gegensatz zu einigen anderen Serienablegern wie z.B. Black Flag. Man streut in der offenen Welt der West-Ägäis ähnlich wie in The Witcher 3 viele kleine Einzelgeschichten ein, die sich mitunter über einen ganzen Strang von Missionen ziehen, die teilweise sogar voneinander abhängen. Und die Umgebung, die zusätzlich zu den von NPCs oder an Auftragsbrettern vergebenen Aufgaben nicht nur mit einer von Anfang bis Ende ansehnlichen Kulisse, sondern auch immer wieder mit neuen Entdeckungen lockt, erzählt ihre eigenen kleinen Mini-Geschichtchen. Und alles greift ineinander, baut aufeinander auf oder ergänzt sich. Hier erfährt man etwas, das einem an einer ganz anderen Stelle weiterhilft. Dort wird man Zeuge eines Schicksals, das einen nachhaltig emotional beschäftigt. Figuren und Elemente, die man beiläufig zur Seite winkt, haben dann doch Einfluss auf die Hauptgeschichte, von der man häufiger abgelenkt wird, als einem lieb ist. Was emotionale Ansprache und Auswirkung auf das Gesamtbild betrifft, ist man mit Assassin‘s Creed Odyssey zwar noch ein gutes Stück von The Witcher 3 weg, doch für Ubisoft- und vor allem Serienverhältnisse ist der Ausflug ins antike Griechenland ein erzählerischer Meilenstein. Hier wird man besser unterhalten als zuletzt von Bioware in Dragon Age Inquisition oder Mass Effect Andromeda.
Doch nur eine typische Fortsetzung?
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Mechanisch hingegen kommt Odyssey in der Anfangsphase nicht über den Status eines Add-Ons oder eines Szenariowechsels hinaus. Man kennt den Kompass am oberen Bildschirmrand – und das nicht nur aus dem Vorgänger, sondern auch aus entsprechenden Bethesda-Spielen, bei denen nicht nur das ggf. ausgewählte aktuelle Ziel, sondern auch Entdeckungen oder neue Schauplätze markiert werden und einen vom „rechten“ Weg abbringen wollen. Das Kampfsystem ist auf den ersten Blick ebenfalls nur eine Variation dessen, was in Origins als erfolgreicher Versuch eingeführt wurde, sich dem Action-Rollenspiel anzunähern – dementsprechend ähnlich spielen sich die Auseinandersetzungen. Mittlerweile kann man zwar auch aktive Sonderfähigkeiten für Nahkampf, Distanzwaffen oder Stealth in den drei passablen Fähigkeitenbäumen auswählen und verwenden. Für Letzteres hat man sich sogar bei Monoliths Mittelerde: Schatten des Krieges bedient und eine Variation des dort verwendeten Schattenkills eingebaut, die zu einer Kette an Schleichtötungen ausgebaut wurden kann. So kommt es punktuell auch immer wieder zu Momenten, die man in dieser Form nicht aus dem Vorgänger kennt. Doch sobald es in den Nahkampf geht, der trotz effektiver, aber simpler Schleichmechaniken oder des im Vergleich zum Vorgänger leicht vereinfachten Bogenschießens nicht immer verhindert werden kann, fallen die Unterschiede zu Origins geringer aus, als ich es mir gewünscht hätte. Obwohl man überraschenderweise den Schild entfernt hat, mit dem im letzten Spiel noch hantieren durfte und der eigentlich zu den griechischen Kämpfern gehört wie Ambrosia zu Göttern. Zudem hat es Ubisoft erneut verpasst, dem Kampfsystem wenigstens optional ein Ausdauersystem hinzuzufügen, das sich für mein Empfinden auch problemlos mit dem unveränderten Gegenstands- und Inventarsystem vertragen hätte.