Vom Ratten- zum Flugsimulator…
…und wieder zurück. Nach etlichen Lizenzgames und technischen Hilfestellungen für Firmen wie Ubisoft oder Remedy lieferte das französische Studio Asobo im Jahr 2019 eine starke Gesellenprüfung ab: A Plague Tale: Innocence überraschte mich und viele andere Spieler mit authentischem Heldenduo, aufbrausendem Ratten-Horror und starker Grafik. Das technische Meisterstück der Franzosen war jedoch der Microsoft Flight Simulator, der nicht nur die Welt der zivilen Luftfahrt, sondern große Teile unseres Planeten in bisher nicht gekannter Grafikpracht und Detailtreue zuerst auf den PC und dann auf die Xbox-Konsolen brachte. Das interne Asobo-Team hinter der A Plague Tale-Marke werkelte da freilich schon an einem Mittelalter-Nachfolger, der technisch erneut von der hauseigenen Engine befeuert wird. Und obwohl in etlichen Szenen noch ein deutlich sichtbarer Unterschied zu den Highlights von Sony Santa Monica, Naughty Dog, Guerrilla Games oder Insomniac besteht – z. B. wenn es um die Natürlichkeit von Dialogen oder die Mimik der Figuren geht –, so beschert uns das Team trotzdem eines der optischen Highlights dieses Spielejahres.
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Absichtlich entschied man sich nach dem sehr düsteren ersten Teil für eine Verlagerung nach Südfrankreich – dort prallen sonnendurchflutete Mittelalter-Architektur, Blumenfelder und zerklüftete Küsten auf finstere Kerker, nächtliche Hafenbezirke und Abwasserkanäle voller Kadaver. Erfreulicherweise bedeuten größere Areale und mehr visuelle Abwechslung keinen Abfall beim Detailgrad – sicher auch dank der Power der neuen Konsolen; vielmehr sieht Requiem in allen Belangen ein Stück stärker aus als der Vorgänger. Das betrifft die Kletteranimationen der Helden, die wuseligen Rattenmassen oder die Gesichter der virtuellen Menschen ebenso wie die reine Qualität von Texturen, Beleuchtung und Modellen. An einigen Orten erkennt man, dass sich Asobo in ausgewählten Szenen besonders viel Mühe gegeben hat: Ein wogendes Kornfeld mit vier ikonischen Windmühlen im Hintergrund, ein Straßenzug voller Händler, Buden und Waren, eine düstere Kathedrale mit blutroten Stoffbannern und prächtigem Mosaikschmuck.
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Die Soundkulisse kann da nicht ganz Schritt halten: Die deutschen wie die englischen Stimmen der Figuren reißen keine Bäume aus, liefern aber durchweg ordentliche Arbeit ab; mir persönlich gefällt die deutsche Amicia beispielsweise gut, mit Hugos Stimmorgan wurde ich bis zum Ende nicht ganz warm. Eine französische Tonspur gibt es auch – hier reichen meine persönlichen Sprachkenntnisse aber nicht für eine qualifizierte qualitative Einschätzung aus. Derweil spielt der Soundtrack vielfach groß auf, er untermalt ruhige bis stellenweise ausgelassene Szenen ebenso passend wie sich anbahnende Katastrophen und wird in mancher Actionsequenz zum tosenden Einpeitscher – etwa wenn Amicia ihre grundsätzlich deeskalierende Natur für einen Moment vergisst und den Tod über eine große Anzahl Feinde bringt.
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Generell fragt man sich als Spieler mitunter – analog zum „Geschockte Lara vs. Badass-Lara“-Paradoxon der Tomb-Raider-Reboottrilogie – wie es zusammenpasst, dass sich das Geschwisterduo mit Grausen vom Anblick der vielen toten Menschen und Tiere abwendet, wenig später aber eiskalt die Fackel eines Wachmanns ausknipst, damit der von den Ratten zernagt wird. Nicht, dass Asobo diesen inneren Konflikt nicht anspricht und die Figuren nicht über die eigenen Gewalthandlungen reflektieren lässt – dennoch könnte man diesen Widerspruch noch besser herausarbeiten. Vielleicht habe ich dieses Gefühl auch, weil die Entwickler stellenweise gar so dick auftragen: Wie schon im ersten Teil müssten nicht an so vielen Stellen blutig zernagte Skelette, Leichenberge und aufgeplatzte Tierkadaver das Bild bestimmen. So gewöhnt man sich früh im Spiel schon zu sehr an den optischen Horror.
Traue keinem!
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Ganz hervorragend klappt es jedoch, dass ich mich als Spieler nie richtig entspannt fühle: Wann immer meine Helden vordergründig unbeschwert die Natur erkunden, Amicia Spiele mit ihrem Kind gebliebenen Brüderlein spielt oder andere Charaktere ihnen die Hand reichen, da bewahre ich mir – wie die beiden übrigens auch – einen Rest Skepsis. Zu oft schon haben sich vermeintliche Lösungen als Aufstiegshilfe für die nächste Katastrophe entpuppt, zu viele Menschen letztlich nur ihre eigenen Interessen verfolgt. Und so sind Misstrauen und Verzweiflung die vordergründig dominierenden Emotionen dieses großen Familiendramas, das aber auch von einer großen Geschwisterliebe und einem unbedingten Überlebenswillen zusammengehalten wird.