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Cyberpunk 2077 für Monkey Island-Fans – dieses neue Adventure ist ein Geschenk für Oldschool-Spieler

Cyberpunk 2077 durchgespielt, Ghost in the Shell fertig analysiert – und Sehnsucht nach guten, alten Point-and-Click-Adventure-Tagen?

Eine Bildmontage zum Videospiel Neon Hearts City, auf dem Elaine Marley aus Monkey Island zu sehen ist.
© Dionous Games / Cosmic Void / LucasArts / Lucasfilm / Disney, @Andy, @Robbiya - stock.adobe.com, Adobe Photoshop [M]

Was ist ein Action-Adventure?

Als verschlagener Privatdetektiv in eine ruchlose Cyberpunk-Welt aufbrechen, um dort den Fall eines verschwundenen Mädchens aufzuklären? Wer mit einem Setting aus Cyberpunk 2077 oder Deus Ex warmwird, sich zugleich nach Oldschool-Adventures wie Indiana Jones and the Fate of Atlantis oder natürlich Monkey Island zurücksehnt, sollte das neueste Point-and-Click-Adventure von Solo-Developer Cosmic Void genauer unter die Lupe nehmen.

Denn mit Neon Hearts City hat sich der Macher hinter der Fantasy Point-and-Click-Komödie Twilight Oracle an ein Cyberpunk-Szenario herangetraut. Als die potenzielle Retro-Perle jetzt am 13. Mai auf Steam aufschlug, habe ich mein virtuelles Portemonnaie gezückt, bin für nicht ganz acht Euro losgezogen, um eine vertrackte Verschwörung aufzudecken – und mich an kruder Adventure-Logik zu reiben …

Neon Hearts City: Retro-Perle oder Genre-Tiefpunkt?

Neon Hearts City nimmt bereits während der ersten Spielsekunden keine Gefangenen. Nachdem mich das Hauptmenü mit Jazz-Trompeten und Pixelart begrüßt, wird mir Protagonist Elijah Crow vor die Füße geworfen. Im Trenchcoat der Schnüffelnase finde ich mich an einem Imbiss für Ramen-Nudeln wieder. Eine Frau tritt an mich heran, bittet verzweifelt, man möge sich des Falles ihrer hopsgegangenen Tochter annehmen. Ich nehme an – und das Abenteuer beginnt.

Die grafische Gestaltung des Schauplatzes wirft mich schonungslos zurück in die Zeit, als Larry Laffer noch im Freizeitanzug an der Damenwelt scheiterte, oder Möchtegernpirat Guybrush Threepwood beim Beleidigungsfechten: Alles, von Farbpalette, Charakterdesigns, bis hin zu der Pixel-Grafik, schreit „Point-and-Click-Adventure der alten Schule!“ Aber nicht nur in puncto Präsentation und Genre-Konventionen erfolgt ein liebevoller Rückgriff auf glorreiche Klick-dir-den-Finger-wund-und-denke-dich-in-einen-zugebundenen-Strumpf-Tage

Launch Trailer zu Neon Hearts City:

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Auch erzählerisch steht diese Point-and-Klickerei auf den Schultern seiner Vorbilder: Ein desillusionierter Privatdetektiv, der am Rande der Gesellschaft lebt? Check! Eine geheimnisumwitterte Frau, die unseren Ermittler ins Verderben zu drohen scheint? Check! Ein urbanes Setting voller finsterer Gassen und düsterer Gesellen? Check, Check und nochmals: Check! Anders gesagt: Neon Hearty City hangelt sich routiniert entlang der Genre-Versatzstücke – was kein Verbrechen im Sinne des Spielspaßes sein muss.

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Erwartungshaltung voll erfüllt – Neuheitswerte: Fehlanzeige!

„Es war einer dieser Tage. Vierzehn Stunden im Büro, und alles, was ich vorzuweisen habe, ist ein nicht nachlassender Kohldampf auf Ramen-Nudeln“, erzählt Held Elijah direkt zu Beginn, betritt als putzige Pixel-Figur den Bildschirm – und die Straßen der Cyberpunk-Stadt. „Es ist nicht so, dass Menschen aufgehört hätten zu verschwinden. Das taten sie nicht. Wie Münzen, die zwischen Sofakissen hindurchrutschen. Passiert jeden Tag“, philosophiert er weiter, erfüllt damit die an das Genre gerichtete Erwartungshaltung eines lethargischen Detektivs, der das Geschehen auf dem Bildschirm kommentierend rahmt.

Eine Bildmontage zu Neon Hearts City.
Nicht im Bild, aber trotzdem schön: Bei gehaltener Tab-Taste werden Hotspots eingeblendet. Credit: Dionous Games / Cosmic Void

Was zum Schauplatz passt, wie die Faust aufs Auge – oder eher wie Johnny Silverhand nach Night City gehört – ist aber auch eine Schwäche dieses Indie-Kleinods: Der Protagonist wirkt austauschbar, klischiert, wie ein Jedermann im Noir-Detektiv-Einheitsbrei. Zumindest während der ersten Spielstunde. Rund 60 Minuten habe ich nämlich bisher in Neon Hearts City versenkt. Eine Spielzeit, mit der ich, mit Blick auf die Angaben in den Steam-Kritiken, ungefähr das erste Drittel runtergerissen haben dürfte. Demnach erwartet euch als Käufer*in eine Spielzeit von ungefähr drei Stunden.

Vom Umfang her ist Neon Hearts City also ein überschaubares Spiel – kostet dafür auch nicht mal einen knittrigen Zehner. Preisgünstiger noch: Für gerade mal 7,80 Euro gönnt ihr euch dieses Gehirnschmalz-Game. Aber lohnt sich der Kleckerbetrag überhaupt? Falls ihr Point-and-Click-Fans der ersten Stunde seid, zudem alles von William Gibson wegatmet, oder jeden Frame aus Blade Runner im fotografischen Gedächtnis abgespeichert habt – dann unbedingt!

Eine Bildmontage zu Neon Hearts City.
Ploppen stets auf der Karte auf, sobald besuchbar: Neue Schauplätze für unseren Sci-Fi-Philip Marlowe. Credit: Dionous Games / Cosmic Void

Alle anderen, die auf Cyberpunk-Settings allergisch reagieren, oder deren persönliches Kryptonit entschleunigte Oldschool-Adventures sind, sollten den Besuch in dieser Retro-Dystopie weiträumig umfahren. Vor allem, wenn ihr euch an der für Adventure-Games typischen, manchmal mühsam konstruierten Rätsel-Bauweise stört …

Hingebogene Rätsel & Fazit

Die Rätsel während meiner ersten paar Spielminuten empfand ich als etwas, nun ja, konstruiert. Um nämlich die trockene Kehle des Basketballspielers Cason zu befeuchten, musste ich als Elijah an ein Erfrischungsgetränk herankommen. Ein solches findet sich direkt auf dem allerersten Bildschirm – genauer dem oben beschriebene Ramen-Imbiss. Dort steht passenderweise eine kühle Bierflasche neben einem Gast. Um dem Gerstensaftgesöff habhaft zu werden, müsst ihr die Flasche mit Heizhandschuhen erwärmen, woraufhin der Ramennudel-Schlürfer das nun warme Bier freiwillig aushändigt.

In dieser Dystopie steckt viel Utopie: Bei Neon Hearts City lebt der Einzelhandel weiter, sogar als Comicbuchladen. Credit: Dionous Games / Cosmic Void

Ich glaube: Die Heizhandschuhe befanden sich ausschließlich deswegen in meinem Inventar, damit sie dem Fortkommen im Spielverlauf (und dem Warmstellen von Krawallbrause) dienlich sind. Wer solchen, manchmal schräg hingebogenen, Rätsel-Konstrukten mit Nachlässigkeit begegnet, keinen Narrativ-Blockbuster wie aus dem Hause Wadjet Eye Games (The Excavation of Hob’s Barrow, Blackwell-Reihe) erwartet, erlebt mit Neon Hearts City dennoch ein solches Point-and-Click-Adventure, wie es früher einmal war.

Alle anderen auf der Suche nach Cyberpunk-Nachschlag könnten mit einem neuen Büchlein glücklich werden.

Quellen: Steam / Cosmic Void, YouTube  / @Cosmic_Void