In den vergangenen Tagen meldeten sich mehr und mehr Personen, vorwiegend Frauen, über soziale Medien zu Wort und beklagten ungewollte sexuelle Übergriffe, Belästigung, generelles Fehlverhalten, die Ausnutzung von Positionen/Posten, Vergewaltigung und Nötigung in nahezu jedem Bereich der Spiele-Branche. Dutzende Frauen haben Anschuldigungen gegen mehrere Twitch-Streamer, YouTuber, eSportler und Persönlichkeiten aus der Gaming-Industrie erhoben. Die Welle an Mitteilungen erinnert an die #MeToo-Bewegung und zieht mittlerweile große Kreise. Erste Konsequenzen sind erkennbar.
Viele Anschuldigungen gehen an das Führungspersonal von Ubisoft. Die Anschuldigungen an mehrere Ubisoft-Mitarbeiter gingen sogar so weit und häuften sich so stark, dass der Publisher eine offizielle Stellungnahme rausgab und bereits einige Mitarbeiter freistellte. Es heißt: „Wir möchten damit beginnen, uns bei allen Betroffenen zu entschuldigen – es tut uns wirklich leid. Wir sind bestrebt, ein integratives und sicheres Umfeld für unsere Teams, Spieler und Communities zu schaffen. Es ist klar, dass wir in der Vergangenheit daran gescheitert sind. Wir müssen es besser machen. Wir haben damit begonnen, die Vorwürfe mit der Unterstützung spezialisierter externer Berater zu untersuchen. Auf der Grundlage der Ergebnisse sind wir fest entschlossen, alle geeigneten Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. (…) Wir überprüfen auch unsere bestehenden Richtlinien, Prozesse und Systeme, um zu verstehen, wo diese versagt haben – und um sicherzustellen, dass wir unangemessenes Verhalten besser verhindern, aufdecken und bestrafen können.“ Auch Ashraf Ismail, der Creative Director von Assassin’s Creed Valhalla, Black Flag und Origins, nahm im Zuge der Berichte seinen Hut, da er eine langfristige außereheliche Beziehung zu einem Fan der Reihe hatte, die auf einer Lüge basierte.
Zu den betroffenen Personen gehört ebenfalls Chris Avellone (Autor u.a. bei Fallout 2, Pillars of Eternity, Fallout: New Vegas, Pathfinder: Kingmaker), dem vorgeworfen wird, Frauen auf Messen abgefüllt zu haben, um danach Geschlechtsverkehr mit ihnen haben zu können. Avellone entschuldigte sich in entsprechenden Antworten auf Twitter für das Verhalten. Derweil haben Techland (Dying Light 2) und Paradox Interactive (Vampire: The Masquerade – Bloodlines 2) sofort reagiert und die Zusammenarbeit mit Avellone eingestellt. Sämtliches Material, dass Avellone für Bloodlines 2 geschrieben hat, wird komplett aus dem Spiel gestrichen (sein Anteil war ohnehin gering).
Weitreichende Benachteiligungen von Frauen werden ebenfalls bei Insomniac Games (Marvel’s Spider-Man) angeprangert. Sammelthreads, welche Anschuldigungen und die Berichte über das Erlebte enthalten, sind u.a. bei Twitter, Kotaku oder Resetera zu finden. In dem Kontext kam ans Tageslicht, dass Mitarbeiter bei IGN von zwei (mittlerweile woanders arbeitenden) Mitarbeitern aus der Führungsriege angewiesen, beschimpft und eingeschüchtert wurden, um Berichte mit falschen Informationen zu versehen, um die Beziehung des Unternehmens „zu Sony zu schützen“. Der Artikel betraf die Umstände des Abgangs von Amy Hennig bei Naughty Dog. Anderen Erfahrungsberichten ist zu entnehmen, dass speziell Frauen von IGN-Mitarbeitern herablassend und wie „Dummchen“ behandelt wurden.
Unangemessenes Verhalten, sexuelle Belästigung und Übergriffe werden auch vielen einflussreichen Persönlichkeiten in der Live-Streaming-Welt oder Managern in diesem Bereich vorgeworfen. Über 250 Beiträge (meistens von Streamerinnen) sind in einem Google-Dokument gesammelt worden und haben u.a. dazu geführt, dass der Chef eine der größten Managementfirmen (OPG) in der Streaming-Welt zurückgetreten ist. Zuvor haben schon einige Streamer ihren Dienst quittiert oder Twitch mit Boykott gedroht.
Besonders in der Kritik steht Twitch als Betreiber der führenden Livestream-Plattform. Auf die Flut von Geschichten hat das Unternehmen, das „sehr lange, sehr wenig“ gegen diese Machenschaften unternommen und dieses Verhalten überhaupt erst ermöglicht ist, zunächst zögerlich reagiert, was allenthalben kritisiert wurde. Erst in der zweiten Botschaft wurden sie konkreter und sperrten diverse Partner/Streamer dauerhaft. Sie wollen „die systemischen Probleme angehen“, heißt es.
„Wir setzen uns auch dafür ein, unsere Bemühungen fortzusetzen, Twitch zu einer sichereren Umgebung zu machen, mit mehr Instrumenten zur Bekämpfung von Belästigung und Hass. (…) Diejenigen, die sich gemeldet haben, haben unglaubliche Stärke, Verwundbarkeit und Tapferkeit gezeigt. Wir erkennen an, dass wir die allgegenwärtigen Probleme in der Gaming- und breiteren Internet-Gemeinschaft nicht im Alleingang angehen können, aber wir nehmen unsere Verantwortung als Dienst für unsere Gemeinschaft ernst“, ist der Stellungnahme von Twitch zu entnehmen.
Ob die allem Anschein nach dauerhafte Sperrung des Channels von Dr DisRespect (Herschel „Guy“ Beahm) ebenfalls mit dieser Thematik oder seinem generellen Auftreten zu tun hat, ist unklar. Insider sprechen aber von „ernsten“ Gründen für seine Sperrung. Dr DisRespect hatte über vier Millionen Follower und fast 29.000 Abonnenten. Alle Kanalabos sind bereits gekündigt worden.
Darüber hinaus haben mehrere Dota-2-Streaminnern in entsprechenden Threads bei Reddit schwere Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung erhoben.
Bei Method (Esports-Organisation, bekannte WoW-Gilde etc.) kommt es zu großen Umbrüchen, da ein Führungsmitglied mehrfach der Vergewaltigung bezichtigt wurde und die Führung des Unternehmens dies wissentlich (seit mehreren Jahren) in Kauf nahm. Erst kürzlich, als schon erste Partner, Sponsoren und Mitarbeiter ihre Zusammenarbeit kündigten, wurden erste Schritte unternommen.
Eine_kurze_Geschichte_der_Gewalt_in_Videospielen
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