Zurück in die Zukunft
„Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war.“
Das ist der erste schöne Satz aus Neuromancer. Der Roman von William Gibson begründete 1984 das Subgenre des Cyberpunk. Und er traf den kulturellen Nerv einer Welt, die sich gerade erst computerisierte. Damals erschienen Spiele wie Boulder Dash, Impossible Mission oder Elite. Ein kleiner Kreis interessierte sich für Disketten, Joysticks, Hacker und Prozessoren. Aber was Gibson da noch Jahre vor dem kommerziellen Internet vom „Cyberspace“ erzählte, wirkte wie die Vision eines digitalen Propheten…
…und dennoch klang es plausibel. Irgendeine Vorfreude kitzelte diese Bildschirmfreaks, dass da mal viel mehr kommen würde, dass auch diese faszinierenden Spiele mit ihren Pixeln erst der Anfang sind. Natürlich konnte niemand in den 80ern auch nur ahnen, was heute mit PC, Konsolen, AR, VR & Clouds möglich sein würde. Hätte man mir als Teenager dieses Cyberpunk 2077 gezeigt, in dem ich tatsächlich den Cyberspace betreten kann, wäre ich wie ein Fernseher auf einem irren Kanal explodiert. Falls ich überlebt hätte, hätte ich wahrscheinlich so etwas wie „WIE NEUROMANCER IN ECHT, EY!“ gestammelt. Und vermutlich kein Abitur gemacht.
Ein Hype mit Substanz
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Aber, ach du Schreck: Damals hätte vielleicht auch ein olles FIFA 10 (oder noch weniger) gereicht, diesen verzockten Jungen zu euphorisieren. Mittlerweile ist der 47 Jahre alt, schreibt seit zwanzig Jahren über Spiele und hat sich an all die offenen Welten und tollen Kulissen, all die Versprechen und Ernüchterungen gewöhnt. Jedes Jahr ist ja irgendein Hype. Jemand will also neue Standards setzen? Man schaut einen Trailer an, lächelt müde und winkt bei den meisten Ankündigungen ab. Been there, played that. Trotzdem ist da noch dieser kleine Junge, der in diesem Job so wichtig ist. Und es gibt eine Hand voll Studios, die sehr berechtigte Vorfreude erzeugen, weil man ihnen mehr zutraut.
CD Projekt RED gehört deshalb dazu, weil sie bewiesen haben, dass sie ausgezeichnete Abenteuer inszenieren können, die auf einer literarischen Vorlage beruhen. Auch wenn Neuromancer nur die indirekte und das Pen&Paper-Rollenspiel Cyberpunk 2020 von 1988 die direkte Vorlage für diese Welt ist, ist ein Muster erkennbar. Jetzt treten sie rein thematisch nicht das Erbe von Baldur’s Gate, The Elder Scrolls & Co, sondern jenes von Deus Ex, System Shock etc. an. Aber die Herangehensweise ist vergleichbar und hat letztlich zur beeindruckenden Fantasywelt des Hexers geführt. Ohne den lang anhaltenden Erfolg von The Witcher 3 hätte man sich für dieses Projekt nicht satte acht Jahre (!) Zeit lassen können.