Beginnen wir vorne beziehungsweise hinten: 1998. Ein gewisser Gordon Freeman entdeckt die Brechstange für sich, Metal Gear Solid bringt PSX-Controller zum Tanzen – und durch Resident Evil 2 stapft der erste, unkaputtbare Stalker-Charakter. Das Prinzip ist seither immer dasselbe: Irgendein, mit Trenchcoat oder Ledermantel behangener, respektive meterlangen Freddy-Krüger-Fingernägeln gerüsteter, Obervollspaten – ups, Pardon! – Stalker, veranstaltet eine gnadenlose Hetzjagd auf einen. Genau so dürfte sich das in Resident Evil 9 bald wiederholen.
Um es vorwegzuschicken: Berichten internationaler Pressekolleg*innen zufolge, ist dieser neueste Stalker-Charakter ein wandelnder Augenschmerz. Wie sich das halt gehört. Überdimensionale Äuglein, gigantische Mister-Spock-Ohren, Raubtierzähne, und Hände mit Riesenwuchs – so oder so ähnlich soll der neue Über-Bösewicht aussehen. Sein (oder ihr?) Äußeres wurde sogar mit dem berühmten Goya-Gemälde „Saturn verschlingt seinen Sohn“ verglichen – wobei diese x-te Wiederkehr der Stalker-Mechanik Streitpunkt ist und bleibt.
Stalker-Mechanik aus Resident Evil: Die Hassliebe flammt wieder auf
Wo waren wir? Genau. Die Stalker-Charaktere werden, es bricht Mr. X das Herz, längst nicht von allen geliebt. Wer sich durch die Diskussionen, Foren, und Twitter-Kommentar-Spalten wühlt, stolpert rasch über die immer gleichen, drei Kritikpunkte – von denen mich zwei nichts angehen, doch den dritten Punkt kann ich gänzlich nachvollziehen. Der erste Negativaspekt lautet: Die Stalker-Gegner seien zwar furchteinflößend, aber im eigentlichen Gameplay einfacher als einfach zu umgehen. Dem kann ich im Kern nicht widersprechen.

An den zehn, messerscharfen French Nails der Alcina Dimitrescu ließe sich nicht abzählen, wie oft ich mich in die Schloss-Eingangshalle geflüchtet habe – genauer in diesen einen Nebenraum. Meine Schätzung: Ziemlich verflixt noch mal sehr oft. Ihr wisst schon, diese kleine Kemenate, wo The Duke über seinem Verkaufstresen thront, eines der optionalen Kugel-Puzzles seiner Lösung harrt – und auch die Schreibmaschine zum Abspeichern. Abgesehen von diesem traditionellen Rückzugsort, den ich rundheraus begrüße, war die Lady auf dem normalen Schwierigkeitsmodus ein willkommener Stressfaktor.
Eine todschicke Symphonie des Schreckens ist mir das Klackern ihrer High Heels auf kalten Marmorplatten. Mehr noch: Das anklagende „There you are!“ entlockt mir ein tief sitzendes Unwohlsein, an dem Doktor Freud seine, nun ja, Freude hätte. Doch auch für mich ist nicht alles Gold, wo „Stalker“ draufsteht. Sprich: Die Lady D. hat für mich als Stalker-Charakter formidabel funktioniert. Ein Negativ-Beispiel desselben Charaktertyps ist hingegen nach meinem Dafürhalten Nemesis aus Resident Evil 3 Remake.

Sicher, das Remake der Gruselei No. 3 hat im Direktvergleich zur Neuauflage zu Teil zwei das Nachsehen. Wissen wir alle. Persönlich habe ich Jill Valentine und Carlos Oliveira ein dickes Pfund zu verdanken – schließlich diese Neuinterpretation hat mich seinerzeit ins Survival-Horror-Game zurückgeholt. Auch Design-technisch fackelt der böse Stalker-Bube ein Feuerwerk ab. Anfangs noch ein menschenartiger Fiesling mit Tentakeln, mutiert das Unding bald zur tierischen Bestie, die den Vergleich zur Alien-Queen nicht zu scheuen braucht. Dennoch hoffe ich inbrünstig: Koshi Nakanishi & Team nehmen sich hier kein Vorbild.
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Drei Bausteine für gelungene Stalker
Lasst es mich so sagen: Bei Nemesis aus Resident Evil 3 Remake beschlich mich das Gefühl, eine Reihe gescripteter Ereignisse abzuarbeiten. Und keine Frage: Solche gut platzierten, das Storytelling vorantreibende Skript-Ereignisse, sind Balsam für Survival Horror-Fanboys (-girls und alle dazwischen und außerhalb). Sie besorgen mir eine gehörige Gänsehaut. Und, ja, wie Jill dem Viech den Railgun-Prügel zwischen die Kauleisten klemmt, ballistisch wertvoll die Grenzen der Endlichkeit aufzeigt, ist großes Kino. Das ist schön, schöner, schönst.
Die Klimax aus Resident Evil 3 Remake:
Spielerisch haben für mich aber Mr. X aus Resident Evil 2 Remake und eben die Lady aus Village die Nase vorne. Aus Gründen, die sich hoffentlich in Requiem wiederholen. Im Bereich der Spannungsliteratur gibt es zwei bestimmte Zutaten zum Zusammenrühren von Spannung (und eine dritte). Sie könnten erklären, wieso Mr. X und die Lady funktionieren. Ein weiterer Grund hat damit zu tun, warum Familien-Patriarch Baker aus Resident Evil 7 keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat. Aber dazu gleich mehr.
Die beiden zentralen Zutaten lauten: Zeitdruck und räumliche Beengung. Es klingt nach Captain Obvious, ist dennoch nicht zu ignorieren. Denn: Mr. X jagt uns auf der Raccoon City-Polizeiwache hinterher, Lady Dimitrescu tut es auf einem Schloss, und Mister Baker im Anwesen seiner … sehr speziellen Familie. Anders formuliert: Sobald uns einer dieser Stalker ins Visier nimmt, müssen wir weglaufen oder uns verstecken – sonst wird’s das gewesen sein. Sozusagen der Countdown bis zum eigene Todeszeitpunkt läuft bei jeder Stalker-Begegnung im Hintergrund mit.
„Was will uns der Autor damit sagen?“, hieß es früher im Schulunterricht, wenn Goethe dem Schiller seinen Lessing gemacht hat, oder so. Damit ihr den Überblick behaltet, haben wir euch die drei elementare Ausgangspunkte dieses Meinungsstücks übersichtlich aufbereitet. Nett von uns, oder? Die Kritikpunkt-Trilogie an Stalker-Gegnern aus der Community lautet: 1) Leicht zu umgehen, trotz furchteinflößender Präsenz, 2) Wenig Interaktionsmöglichkeiten während der Begegnungen (meist nur Flucht möglich), 3) Abnutzung des Konzepts über die Jahre (immer gleiches Prinzip).
Und dass es von den jeweiligen Schauplätzen die längste Zeit kein Entkommen gibt, kurbelt die Eskalationsspirale noch mal an. Ganz zu schweigen davon, dass die Super-Schergen bis zuletzt unkaputtbar sind. Diese Konstellation schränkt den Handlungsspielraum als Spielender natürlich ungemein ein – was übrigens Nummer zwei der häufig hervorgebrachten Kritikpunkte ist: wenig Interaktionsmöglichkeiten in Stalker-Momenten.
Ausblick & Wiederkehr des immer Gleichen
Darum reibe ich mich an der eingeschränkten Interaktionsmöglichkeit nicht: Ich genieße – verkappter Masochist? – die bloße Reduktion auf solche basalen Handlungsoptionen wie Flucht (gute Idee), Angriff (schlechte Idee) oder Schockstarre (noch schlechtere Idee). Dritter Punkt auf der Kritikerliste ist schließlich die Abnutzungserscheinung. Und, ja, langjährige Serien haben ihre immer und immer und – na, ihr wisst schon – wiederkehrenden Standardmomente. Und trotzdem goutiere ich jeden Lichtschwert-Kampf, jeden aus dem Brustkorb platzendem Xenomorph – solange das Bekannte mit der entscheidenden Messerspitze Originalität gewürzt wird.
Enthüllungs-Trailer zu Resident Evil 9:
Warum nun Mister Baker in meinem eigenen Stalker-Ranking die hinteren Plätze belegt? Weil sein Design … nicht weiter spektakulär ist? Ein abgehangener Knabe mit gräulicher Haut und zurückweichendem Haaransatz ist für mich kein Stoff, aus dem Albträume gestrickt sind. Und das sage ich, obwohl Resident Evil 7 Biohazard mein Lieblingsteil ist. Ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich, was Schrecken einjagt. Zugleich setze ich genau deswegen auf diese knuffige Monstrosität mit Glubschaugen, XXL-Ohrmuscheln, Elefantitis-Patschern aus Resident Evil 9.
Zu Requiem sage ich deshalb schon jetzt: „Guten Tach, mein Name ist Patrick, ich möchte bitte von diesem widerlichen Stalker-Charakter nach allen Regeln der Survival-Horror-Kunst terrorisierten werden“. Kann man so sehen, oder? Schönen Tag noch. Lest auch gerne unsere große Resident Evil 9-Übersicht, um euch jedwedes Resi-Wissen ins Hirn zu schaufeln.
Quellen: Reddit / KingLocke19, AshenRathian, YouTube / @BossFightDatabase, @residentevil, @NoobFeed, World Builders