Als vor einigen Wochen der Trailer zu Marathon kam, streute er bei so manchen Spieler*innen vorsichtige Neugier: Könnte dieser Extraction-Shooter mit seinem knalligen Grafikstil neuen Wind in das Genre bringen und Fan-Liebling Escape from Tarkov gefährlich werden? Immerhin steckt mit Destiny-Entwickler Bungie ein Shooter-erfahrenes Studio hinter dem Namen.
Binnen kürzester Zeit ist ein Gros der hoffnungsvollen Stimmen jedoch verstummt und verkehren sich mittlerweile ins krasse Gegenteil. Eine eher mäßige Closed Alpha, ein Plagiatsskandal und ein unerwartet auf den Plan getretener Konkurrent sind nur einige Rädchen im ins Stocken geratene Getriebe. Droht jetzt sogar der Exitus?
Extraction-Shooter Marathon: Fans laufen Sturm
In der vergangenen Woche hatte die Künstlerin Fern auf Twitter moniert, dass in der Alpha von Marathon von ihr erstellte Assets ohne Genehmigung zu sehen gewesen seien. „Die Spielumgebung ist übersät mit Details aus Poster-Designs, die ich im Jahr 2017 erstellt habe“, schreibt sie und teilt dazu einige Beispielbilder.
„Natürlich muss Bungie mich nicht anstellen, wenn sie ein Spiel machen, das größtenteils auf den Designideen basiert, die ich über die letzten zehn Jahre erarbeitet habe. Aber meine Arbeit war anscheinend gut genug, um sie über das ganze Spiel zu verteilen, ohne mich zu bezahlen oder zu nennen.“
Bei einem Livestream mit Game Director Joe Ziegler und Art Director Joseph Cross, bei dem es eigentlich um den Stand der Produktion von Marathon ging, kam natürlich auch das Plagiatsthema auf und Cross versicherte, dass alle betroffenen Assets entfernt werden. Ziegler fügte an, dass dieser Umstand sie „überraschend traf“ und man jetzt akribisch untersuche, dass ihnen „nicht noch mehr Dinge durch die Finger gerutscht“ sind.
Hier ist das Video zum Entwickler-Talk von Bungie:
Bungie und die Kunst: Nicht der erste Fehltritt
Dass dies wahrscheinlich mehr Zeit und damit Geld kosten würde, als von Anfang an die Künstler*innen für die Nutzung deren Designs zu bezahlen, ist nur ein Kritikpunk, der sich in den Kommentarspalten findet. Auch die Entschuldigung, es habe sich bei der Person, auf die dieser vermeintliche Fehler zurückzuführen sei, um einen früheren Mitarbeiter gehandelt, kommt nicht gut an.
„Wie kann diese*r Mitarbeiter*in SO viel Einfluss auf die visuelle Identität von Marathon haben, aber jetzt nicht mehr Teil des Unternehmens sein?“, fragt Macarine. Er oder sie müsse sehr weit oben in der Entscheidungskette stehen, um die ganzen Grafiken in die Trailer, auf die Homepage und sogar in die Alpha-Version implementiert zu bekommen. Auch dass Art Director Cross der betroffenen Künstlerin Fern auf Twitter folgt, ist ein störendes Mosaiksteinchen in dem ganzen Bild.
Dazu kommt, dass diese Ausrede der „Ex-Mitarbeiter*innen“ von Bungie gerne genutzt wird, denn es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass der Konzern mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert wird. So wurde beispielsweise im Jahr 2021 ein Fan-Art für eine Destiny 2-Erweiterung genutzt. „Es ist das wievielte… fünfte Mal, dass ihr jetzt beim Stehlen […] erwischt wurdet?“, fragt Mullinsandroid rhetorisch. „Es scheint mittlerweile weniger so, als würdet ihr etwas übersehen, sondern vielmehr ein Verhaltensmuster zu entwickeln.“
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Ungewisses Schicksal für Marathon
Vielleicht ist diese Krise der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wie ein Artikel von Forbes vom vergangenen Wochenende jedenfalls dokumentiert, werden nun Pläne zum Spiel über den Haufen geworfen, wichtige Termine im Vorfeld des Releases verschoben. „Die Stimmung war noch nie schlechter“, heißt es vonseiten der Mitarbeitenden.
Wie lange es dauert, die betreffenden Designs zu entfernen, ist nicht bekannt; erst recht nicht, falls man auch noch weitere, ähnliche Fälle treffen sollte (ein Szenario, welches nach den Worten von Ziegler ja anscheinend nicht als unrealistisch eingestuft wird).
In der Closed Alpha-Version von Marathon konnten von rund einem Monat die ersten Spieler*innen einen ersten Ingame-Eindruck vom Extraction-Shooter bekommen. Das Resümee fiel verhalten aus, von fehlenden PvE-Elementen bis zu wenig motivierendem Gameplay. Und auch wenn der Look generell positiv aufgenommen wurde, gab es auch irritierte Stimmen, die darin einen unpassenden Gegenentwurf zum originalen Marathon – einem Horror-Ego-Shooter aus den 90ern – sahen.
Kein völliger Verriss von allen Seiten also, aber für Bungie scheinbar alarmierend genug, um an der Konkurrenzfähigkeit des – wahrscheinlich 40 bis 50 Euro teuren – Marathon zu zweifeln.
Open Beta abgesagt, neuer Trailer verschoben – „Stimmung einer Beerdigung“
So wurde die für August geplante öffentliche Beta allem Vernehmen nach wahrscheinlich abgeblasen, stattdessen erarbeite man jetzt eine Roadmap, um das Spiel noch vor Release in verschiedenen öffentlichen Playtests erlebbar zu machen. Auch ein für Juni geplanter neuer Trailer ist gecancelt; die angedachten Vorbestellungen können im nächsten Monat ebenfalls noch nicht vorgenommen werden. Das Veröffentlichungsdatum von Marathon am 23. September 2025 ist offiziell nicht in Gefahr.
Just in dieses Chaos spritzt jetzt auch noch ARC Raiders hinein – ebenfalls ein Extraction-Shooter, der seine Alpha Anfang des Monats abgehalten hat… und bei den Kritiken deutlich besser abschneidet.
In den Kommentaren des Entwicklertalks wird schon der Abgesang auf Marathon angestimmt. „Der Stream hat die Stimmung einer Beerdigung“, sagt Danyelius. „Die wissen, dass ihr Spiel schon bei Ankunft tot ist.“ Erste Vergleiche zu Concord – Sonys Hero-Shooter, der im vergangenen August nach rund acht Jahren Entwicklungszeit erschien und nach zwei Wochen vom Netz genommen wurde – werden ebenfalls laut. Ob es tatsächlich dazu kommt, erfahren wir spätesten im September.
Quellen: Twitter / @4nt1r34l; Forbes; Youtube / Marathon, ARC Raiders